FDJ-Jugendhochschule am Bogensee

Im Sommer 2016 haben sich die finnische Regisseurin Kirsi Liimatainen und Gabriele Lubanda anlässlich der Filmvorführung „comrade-where-are-you-today“ in Bogensee kennengelernt, ein Jahr später ergab sich die Gelegenheit zu einem Interview.

 

Kirsi, Du bist oft in Berlin Pankow, findest Du noch Spuren der alten DDR?

 

Kirsi: Ich finde generell viele Spuren der alten DDR in Berlin, nicht nur in Pankow. Ich habe diese Spuren schon oft in meinen Filmen verfolgt, in meiner Doku über polnische Punker in Berlin (den ich Ende der 90er machte), waren wir unterwegs im Mauerpark und am Ostkreuz, Senefelderplatz und überall im Prenzlauer Berg. Für meine Spielfilme drehte ich schon zweimal in Marzahn und jetzt eben in der Nähe von Wandlitz, an der Jugendhochschule Bogensee. Nach und nach verschwinden diese Spuren (wenn man den Wandel rings um die Hackeschen Höfe oder im Prenzlauer Berg beobachtet), mancher Atmosphäre trauert man nach, mancher nicht (die Einkaufshallen und hohen Betonblöcke fand ich nie besonders attraktiv)

Kirsi, Du bist oft in Berlin Pankow, findest Du noch Spuren der alten DDR?

 

Kirsi: Ich finde generell viele Spuren der alten DDR in Berlin, nicht nur in Pankow. Ich habe diese Spuren schon oft in meinen Filmen verfolgt, in meiner Doku über polnische Punker in Berlin (den ich Ende der 90er machte), waren wir unterwegs im Mauerpark und am Ostkreuz, Senefelderplatz und überall im Prenzlauer Berg. Für meine Spielfilme drehte ich schon zweimal in Marzahn und jetzt eben in der Nähe von Wandlitz, an der Jugendhochschule Bogensee. Nach und nach verschwinden diese Spuren (wenn man den Wandel rings um die Hackeschen Höfe oder im Prenzlauer Berg beobachtet), mancher Atmosphäre trauert man nach, mancher nicht (die Einkaufshallen und hohen Betonblöcke fand ich nie besonders attraktiv)

 

Was wissen die Menschen um Dich herum von Bogensee?

 

Kirsi: Ich habe bemerkt, dass ganz viele ehemalige DDR-Bürger gar nichts von der Bogensee-Schule wussten und daher meinen Film aus diesem Grund interessant fanden. Spannend fand ich die Kommentare mancher Zuschauer, als sie den Film gesehen hatten, dass sie sich eine solche internationale Atmosphäre in der gesamten DDR gewünscht hätten, nicht nur auf geschlossenem Schulterritorium. In West-Deutschland haben die Zuschauer natürlich noch weniger von jenen Schulen gewusst, aber sie fanden eine Anknüpfung zum Film über ihr eigenes Engagement in den 80ern und 90ern, in den solidarischen Bewegungen oder in den NGO-s. Der Film ist ja auch nicht nur für die ehemaligen Bogenseer gemacht oder erzählt nur über Bogensee - die wichtigsten Fragestellungen des Films liegen eigentlich in der Zukunft …
 

Wärst Du ohne die Zeit in Bogensee eine Andere geworden?

 

Kirsi: Als ich mich Ende der Achtziger entschied an der Jugendhochschule „Wilhelm Pieck“ und damit in der DDR zu studieren, war es die Zeit der Perestroika und in Finnland wurde vom neuen, progressiven Sozialismus geträumt. 1988, angekommen in der DDR und der Jugendhochschule „Wilhelm Pieck“, war der real existierende Sozialismus jedoch ein ernüchterndes Erlebnis für mich; die Unterschiede zwischen Theorie und Praxis waren augenscheinlich. Pressefreiheit, demokratische Wahlen, Umweltschutz, das waren alles Themen die uns westlichen Studenten in unseren eigenen Ländern wichtig waren. Natürlich führte es dann zu einem „clash“ mit dem real existierenden Sozialismus und dadurch zu gewisser Enttäuschung.

Durch die internationalen Studenten aber, lernte ich die Welt kennen, zu der ich gehören wollte - was sie alle vereinte, war die Hoffnung auf eine bessere Welt und die Bereitschaft dafür zu kämpfen. Viele von ihnen kamen aus Ländern, in denen Diktatoren an der Macht waren, offener Rassismus Alltag war, wo Krieg und Armut herrschte. Für einen jungen Menschen mit Sinn für Gerechtigkeit, war das alles unverständlich. Ich habe mein ganzes Leben für Gerechtigkeit gekämpft und werde es immer tun, da muss ich mich nicht an einer Idee festhalten – es liegt an meinem Gerechtigkeitssinn.

Die Schule war ja auch sehr international, die Studenten kamen aus 80 Ländern und das war eine einzigartige Erfahrung für einen jungen Menschen aus einem so kleinen Land, wie Finnland. Diese Erfahrung hat mich sehr verändert, da ich dadurch ein noch besseres Verständnis von der Welt bekam. Aus erster Hand erfuhr ich Geschichten aus Südafrika, Chile, Nicaragua, Nahost, davon hatte ich vorher nur gelesen – durch diese menschlichen Erfahrungen wurden die Texte aus den Büchern konkret, persönlich. Und wenn ich alles im Nachhinein betrachte, ist es für mich auch ein großer Vorteil, selbst die Erfahrungen in der DDR gemacht zu haben. Da ich viel unterwegs war in der DDR, mit sehr unterschiedlichen Menschen sprach – habe ich die Vorteile und Mängel selbst erfahren und kann heute dadurch besser der Diskussion über die ehemaligen sozialistischen Länder folgen. Oder mit den ehemaligen Bürgern aus den sozialistischen Ländern reden und dabei ihre Meinung nachvollziehen zu können, obwohl ich in einem kapitalistischen Land groß geworden bin.

 

Was ist bei den Anderen, die Du getroffen hast, von Bogensee geblieben?

 

Kirsi: Alle ehemaligen Studenten, die ich überall in der Welt getroffen haben, haben ausschließlich darüber gesprochen, wie international und solidarisch die Schule war. Das hat die Menschen am meisten beeindruckt und geprägt – für immer. Diese Erfahrung hat sie alle sehr verändert. Alle waren auch sehr offen und analytisch. Es wurde differenziert über Sozialismus gesprochen – die ehemaligen internationalen Studenten hatten aus erster Hand ihre Erfahrungen zum real existierenden Sozialismus gemacht. Ich glaube, dass die wichtigste Erkenntnis war, dass sie alle immer noch an eine bessere Welt glauben und dafür was tun wollen! Ich denke, das ist das Vermächtnis von Bogensee: überall in der Welt sind reflektierte, aufgeweckte ehemalige Bogensee-Studenten, die kritisch und analytisch sind (nicht dogmatisch!) und welche nicht aufgeben wollen. „Wir brauchen einen neuen zeitgenössischen und demokratischen Sozialismus“ sagt einer der Protagonisten in Libanon.

 

Nach der Wende gab es eine Welle der Fremdenfeindlichkeit. Kam das für Dich überraschend?

 

Kirsi: Ja, es kam völlig überraschend für mich! Ich hatte keinen Rassismus in der DDR erlebt und ich war nicht nur in der Bogensee-Schule, sondern auch viel unterwegs in der DDR. Jedes Wochenende war ich in Ost-Berlin, unterwegs mit Jugendlichen, die weder bei der FDJ noch bei der Partei waren. Auf allen Parties waren Schwule und Lesben, Nachwuchs von Emigranten, Wessis – eine bunte Mischung, tolerant und offen, ohne Fremdenfeindlichkeit.

 

In den 90ern lebte ich in Finnland und habe alles nur aus der Ferne betrachtete, aber ich habe hier wieder ´99 angefangen zu studieren und dann alles aus erster Hand erfahren – wie auch später die Pegida-Bewegung. Ja, sprachlos war ich. Aber aus meiner Erfahrung kann ich sagen, dass es Rassismus nicht nur in den ehemaligen Bundesländern gibt, sondern auch in den West-Teilen des Landes. Natürlich auch in Finnland! Die Pegida-Bewegung, Afd und „die Partei der wahren Finnen“, diese Parteien und Bewegungen haben Rassismus salonfähig gemacht - und da muss man ansetzen. Die politische Bildung wird jetzt verlangt, die muss präsenter sein und lauter sein als die populistische Hetze.

War Dir klar, wie privilegiert Du als Finnin in Bogensee warst im Vergleich zu DDR -Bürgern oder zu den Vertragsarbeitern aus Vietnam, Mosambik, Angola?

 

Kirsi: Ich finde die Fragestellung zwiespältig… Die meisten von uns Finnen kamen aus Arbeiterfamilien, wir waren also wirklich arm – in meinem ersten Brief schrieb ich nach Hause, dass ich endlich nicht verhungern muss. Im Vergleich zu mir, fanden aber die Studenten aus der DDR das Essen in Bogensee nicht besonders toll. So viel zum Lebensstandard Die Studenten aus Lateinamerika oder aus Afrika, die kamen mitten aus dem Krieg oder einer Diktatur und durften ein Jahr in Frieden leben, ohne Angst… Es ist schwierig sich selbst besonders privilegiert zu sehen… niemand von uns war reich, viele waren im Exil, manche flüchteten aus dem Krieg. Als wir nach Finnland zurückkehrten, konnten wir bei den offiziellen Behörden nicht sagen, dass wir in der DDR waren, wir mussten es verheimlichen… Wenn privilegiert sein heißt, dass wir ein Jahr lang ein Stipendium bekamen und dazu kostenfrei Essen konnten, dann waren wir privilegiert. Wir wussten natürlich nichts von den Gastarbeitern oder ihren schlechten Arbeitsbedingungen, Lebensumständen in der DDR aber im Vergleich zu den DDR-Bürgern weiß ich nicht wie wir privilegiert gewesen wären? Im Konsum erhielt man das Gleiche wie im Konsum in Berlin, wir wohnten zu dritt in einem Zimmer, wie auch die Studenten in Ost-Berlin. Wenn wir über Pressefreiheit und Reisefreiheit reden, waren wir natürlich privilegiert – wir konnten ja jeder Zeit zurück nach Finnland.

 

Deinen Film, für wen hast Du den gedreht? Für nostalgische DDRler oder für kritische Leute aus dem Westen?

 

Kirsi: Weder noch… der Film wurde für alle Zuschauer gemacht, die interessiert sind darüber nachzudenken, wie wir heute diese Welt gestalten wollen! Der Film ist eine Reflexion und Aufarbeitung meiner eigenen Vergangenheit und die Vergangenheit meiner Freunde, aber ich berühre zwangsläufig die Geschichte der ganzen Linken Bewegung, weltweit, da wir alle Marxismus-Leninismus studierten, in den Linken Organisationen aktiv waren und uns deswegen in der DDR kennenlernten. Der Film ist kein „Lehrfilm“ oder „historischer Film“, aber die geschichtlichen politischen Zusammenhänge werden dargestellt, damit die Zuschauer verstehen, woher diese Menschen kommen, aus welchem politischen und geschichtlichen Kontext. So können wir ihre Wünsche und Gedanken heute besser verstehen. Der Film ist eine persönliche Reise in die Vergangenheit und stellt dabei viele wichtige Fragen für die Zukunft. Was sind eigentlich unsere Ideale? Wie wollen wir leben? Der Film zieht Bilanz über eine Welt, in der sich das Fehlen politischer Ideale bemerkbar macht und plädiert für eine Rückbesinnung auf politische Ideale wie Gleichheit und Selbstbestimmung. Ich denke, dass aus diesem Grund der Film jetzt auch im Ausland Interesse weckt (zuletzt in Lateinamerika, Griechenland, Südafrika).

 

Wie ist die Resonanz zu Deinem Film und was macht das mit Dir?

 

Kirsi: Ich bin zufrieden, dass der Film bei den Zuschauern angekommen ist. Ich habe sehr viele Mails und Anrufe von unbekannten Zuschauern erhalten, in denen sie mir erzählten, dass sie im Anschluss an den Film erstmals vieles reflektieren konnten. Sie waren dankbar für den Film. Ich habe Geschichten über politische Laufbahnen gelesen, darüber, wie Menschen nach der Wende gesucht haben wo sie hingehören. Ich habe Lob dafür erhalten, dass der Film so differenziert ist. Und es gab viele Rückmeldungen von Zuschauern, die nicht am Bogensee studiert oder gelehrt haben! Und das wollte ich von Anfang an bewirken, nämlich dass der Film jeden anspricht.

Ich bin froh, dass die Zuschauer meine Fragestellungen angenommen und verstanden haben, ohne dass ich sie diktiert habe. Und dass sich viele mit ähnlichen Themen wie ich auseinandergesetzt haben, der Film darüber hinaus Anstoß zur Reflektion gab. Und
ähnlich verhielt es sich auch mit den Filmkritiken der Zeitschriften – ich bin glücklich, dass der Film nicht verschwiegen wurde, sondern auch in Tageszeitungen wie Süddeutsche Zeitung, Berliner Zeitung etc. besprochen wurde. Und natürlich bin ich froh, dass u.a. Zeitschriften wie TAZ, Freitag, Konkret, AK, Neues Deutschland über den Film schrieben. 

 

 

Die DVD ist erhältlich über alle üblichen Handelskanäle.

Extras: Bonuskapitel: Die Reise nach Nicaragua

Sprache: OmU (Originalfassung mit Untertiteln)

Untertitel: Deutsch, Englisch

 

http://www.wfilm.de/comrade-where-are-you-today/dvd-bluray-vod/

 

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