Dieter Braun

„Partnerschaft vor der eigenen Haustür“ - Anfänge der Ausländerarbeit der christlichen Kirchen in der DDR vor und in der Wendezeit

1. Die Situation in der DDR und die Anfänge der Ausländerarbeit

Seit Beginn der 80er Jahre setzten sich die Evangelische Kirche in der DDR und verschiedene Organisationen der Kirchen für die hier lebenden Ausländer ein. In einzelnen Kirchgemeinden und da, wo es Universitäten und Hochschulen gab, hat es in einigen der evangelischen, katholischen und freikirchlichen Studentengemeinden vereinzelte Kontakte zwischen deutschen Christen und Ausländerinnen und Ausländern gegeben. Wenige ausländische Studenten suchten direkt zu christlichen Gemeinden Kontakt. Dies war in den Kirchen aber keine systematische Arbeit. Ein anderer Aspekt war die Partnerschaftsarbeit, die gleich vor der eigenen Haustür beginnen sollte, so das grundlegende Motto. Ein Protokoll aus dem Jahr 1984 zu diesem Thema spricht davon, dass „die Glaubwürdigkeit unserer Partnerschaftsarbeit vor der Haustür beginnt, wenn in einigen Städten und Gemeinden Ausländer gemeinsam mit uns leben, lernen und arbeiten. Die Ausländerseelsorge bedeutet für unsere Gemeinden  eine ernste Verpflichtung, bringt aber auch neue Chancen für gelebte Partnerschaft.“  Dieses Zitat zeigt, dass es sehr wohl Menschen gab, die sich der Frage stellten:  „Wie  gehen  wir mit hier lebenden Ausländern um?“

Oftmals gab es große sprachliche Probleme beim Knüpfen von Kontakten, egal ob es ausländische Studenten oder Vertragsarbeiter waren. Kontakte zu kirchlichen Gruppen bzw. zu einzelnen Familien waren vom Staat nicht gerne gesehen und sicher wurden diese auch von der Staatssicherheit und teilweise von eigenen Beobachtern der Länder überwacht. Die Studenten hatten oftmals mehr Möglichkeiten als die Fach- und Hilfsarbeiter aus den sogenannten „Bruderländern“. Die ersten Vertragsarbeiter kamen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn. Die algerischen Vertragsarbeiter spielten in den DDR-Kirchen auf Grund ihrer anderen Religion keine Rolle. Die Regierungsabkommen mit Vietnam, China, Kuba, Mosambik und mit Angola sind erst später zustande gekommen. Zahlreiche internationale ökumenische Kontakte der Kirchen, und die Besuche der Partner aus diesen Ländern waren oft sehr schwierig trotz der guten Kontakte mit und durch den „Ökumenischen Rat der Kirchen“.

In Gesprächen mit Vertretern der Heimatkirchen der hier lebenden Ausländerinnen und Ausländer wurde die Bitte geäußert, „Kümmert euch um unsere jungen Leute“ wie z.B. von Bischof Dr. Erasto N. Kweka aus Tansania. In den Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und staatlichen Stellen gab es keine Ausländerbeauftragten, die sich für die Belange dieser jungen Leute einsetzten. Das führte dazu, dass man innerhalb der Kirchen begann, vor allem in den Einrichtungen die im Bereich Mission und Partnerschaft tätig waren, Überlegungen zu dieser Problematik anzustellen. Dazu zählten das Ökumenisch-Missionarische Zentrum/Berliner Missionsgesellschaft, (ÖMZ/BMG) in Berlin und die Leipziger Mission, das jetzige Evangelisch Lutherische Missionswerk Leipzig (LMW).Sie beriefen 1984 gemeinsam Konsultationen in Berlin und Leipzig ein. Bei den zunächst vorsichtigen Besuchen von Vertragsarbeitern und Studenten in deutschen Gottesdiensten kam es zu ersten Kontakten, Begegnungen, auf die die Mitarbeiter und die Gemeinden nicht vorbereitet waren.

„Mosambik, Angola und Kuba hatten ihre Arbeitsmigranten vor der Ausreise informiert, dass es in der sozialistischen DDR keine Kirche mehr gäbe. Sollten sie dennoch auf solche stoßen, seien diese ganz sicher illegal und eine Kontaktaufnahme sei verboten." (Klaus Pritzkuleit in Almut Zwengel „Die „Gastarbeiter" der DDR, Studien zur DDR –Gesellschaft" Band XIII, LIT Verlag Dr. W. Hopf, Berlin2011 S.171-187: Zum Engagement für Ausländer durch Mitglieder der christlichen Kirchen in der DDR)

Die erste große Tagung zum Thema Ausländerarbeit fand 1986 in der Evangelischen Akademie in Meißen statt. Fragen „Wie gehen wir als Christen, Gemeinden und Kirchen mit hier lebenden Ausländern um? Welche Rahmenbedingungen, außenpolitische Tendenzen und Probleme bilden dabei die Grundlage für unser Handeln?" wurden dort besprochen. Die Kirchen haben ihre theologische Überzeugung mit dem Satz: „In der Kirche gibt es keine Ausländer." klar und deutlich formuliert. Daraus ergaben sich ihre legitime Zuständigkeit und ihr Engagement für diese Aufgabe an und für Ausländerinnen und Ausländer in unserem Land.

An dieser Stelle ist zu bedenken, dass zu jener Zeit über die Ausländerpolitik in der DDR weder berichtet noch informiert wurde. Es waren keinerlei Zahlen bekannt, wie viele Ausländer hier leben, egal ob es Vertragsarbeiter oder andere Ausländer waren. Selbst im Zuge der Anwerbung von Vertragsarbeitern aus Vietnam, Mosambik und aus anderen Ländern wurde hierrüber Stillschweigen bewahrt. Auch dann noch, als die Zahlen deutlich anstiegen. Informationen über die Bedingungen und Umstände, unter welchen diese Vertragsarbeiter und Studenten hier lebten, waren nicht zugänglich. Durch die Partnerbeziehung der Leipziger Mission nach Tansania und die Kontakte zu tansanischen Studenten hier, wurde uns sehr deutlich, dass wir für sie und andere ausländische Christen unter uns etwas tun mussten. So haben der damalige Direktor Pfarrer Joachim Schlegel und der Tansania-Referent Pfarrer Michael Müller im Leipziger Missionshaus im November 1986 den „Grünen Salon" als ersten Begegnungsabend für In- und Ausländer in der DDR eingerichtet. Es sollte ein Raum für Begegnung und gegenseitiges Kennenlernen sein, zumal die jungen Tansanier bald noch weitere Interessierte verschiedener Nationalitäten mitbrachten und wir so auch diesen Rat, Hilfe und Gemeinschaft gegeben konnten. Es kamen nicht nur Christen, sondern ebenso Muslime. Der Name „Güner Salon" leitete sich von den grünen Polstermöbeln in diesem Raum ab.

2. Kirchlicher Auftrag und erste Struktur

In dieser Zeit kam es zu weiteren Überlegungen zum Aufbau einer kirchlichen Ausländerseelsorge in den Kirchen der DDR. So wurde ein Arbeitskreis gegründet, in dem über die Einrichtung von Stellen in Berlin und Leipzig nachgedacht wurde. In diesem Zusammenhang erging dann am 22.09.1987 ein Beschluss der Synode des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR zur Ausländerseelsorge. Darin heißt es: „Die Synode bittet die zuständigen Gremien in Staat und Kirche, um grundsätzliche Lösungen bemüht zu sein, damit sich das religiöse Leben der ausländischen Christen ungehindert entfalten kann. Die Synode bittet die Ökumenischen-missionarischen Werke, die daraus entstehenden neuen gesamtkirchlichen Aufgaben aufzugreifen und Gemeinden und Gemeindeglieder zu beraten und einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen. Die Begleitung der jungen Menschen aus anderen Ländern zu fördern und Anstöße zu einer verbesserten Seelsorge an Ausländern zu vermitteln.“ Mit diesem Auftrag an die missionarischen Einrichtungen begann unter dem Dach der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (AgcK heute ACK) in der DDR und der Bildung eines weiteren Arbeitskreises die Umsetzung dieses Auftrages. Die Ausländerseelsorge sollte durch die Anbindung an die AgcK von Anfang an ökumenisch sein, also mit den Freikirchen, der Römisch- katholischen Kirche und den Evangelischen Kirchen gemeinsam gestaltet werden. Das Konzept für dieses neue Arbeitsfeld sollte zusammen entwickelt werden, und es sollte dann auch ein Signal an die politisch Verantwortlichen sein, dass die Kirchen ihre christliche Verantwortung sehen und dieser Verantwortung gerecht werden wollten. Die Kirchenleitungen wurden regional und auf nationaler Ebene aufgefordert, sich mit dem Thema zu befassen. Pfarrer Christfried Berger, Direktor des ÖMZ Berlin, hat erste Grundsätze für die Arbeit entworfen, die dann diskutiert wurden. Durch einen Ad-hoc- Ausschuss der AgcK wurde ein ökumenischer Leitungskreis eingerichtet. Klaus Pritzkuleit für die Freikirchen der DDR, Dagmar Henke für das ÖMZ Berlin und Dieter Braun für die Leipziger Mission bildeten den Leitungskreis. Später kam noch die Vertreterin der Kath. Kirche, Schwester Cornelia Bührle, hinzu. Pfarrerin Dagmar Henke und Diakon Dieter Braun wurden von ihren Einrichtungen danach als die ersten Ausländerbeauftragten in der DDR berufen. Diese offizielle Beauftragung war sehr wichtig, auch besonders staatlichen Stellen gegenüber. Wir als ökumenischer Leitungskreis versuchten nun, mit den einzelnen Landeskirchen und anderen Kirchen sowie mit kirchlichen Stellen über die Aufgaben ins Gespräch zu kommen, um so Strukturen im Bereich der Ausländerseelsorge /Ausländerbetreuung anzustoßen und aufzubauen. „Im Hinblick auf die Mitgliedschaft der christlichen Kirchen in weltweiten und europäischen Zusammenschlüssen bedeutet die Anerkennung und Wahrnehmung der Ausländerseelsorge als kirchliche Aufgabe das Einlösen einer ökumenischen Verantwortung. In bilateralen ökumenischen Beziehungen, etwa zum Nationalen Kirchenrat von Mosambik, waren die Kirchen in der DDR um die seelsorgerliche Begleitung von Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern gebeten worden“ so Klaus Pritzkuleit in (Almut Zwengel „Die Gastarbeiter“ der DDR, Studien zur DDR –Gesellschaft“ Band XIII, LIT Verlag Dr. W. Hopf, Berlin2011 S.171-187: „ Zum Engagement für Ausländer durch Mitglieder der christlichen Kirchen in der DDR“)

3. Ausländerarbeit zur Zeit der Wende

  1. Erste staatliche Kontakte entstehen

Die ersten Kontakte zur DDR- Regierung entstanden im Frühjahr 1989 auf einer Tagung im Ökumenisch- Missionarischen Zentrum (ÖMZ) in Berlin, auf der Regierungsvertreter vom Amt für Arbeit und Löhne anwesend waren. Bei dieser Tagung drehte sich alles um die Regierungsabkommen im Blick auf die Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter. Wir hatten in diesem Rahmen das erste Mal die Möglichkeit, die Regierungsabkommen einzusehen, Stellungnahmen zu hören, und es gab die Möglichkeit, Fragen zu stellen und zu diskutieren. Es ging besonders um die Fragen, zu welchen Bedingungen sind die Menschen in die DDR gekommen, wie leben und arbeiten sie bei uns. Aber auch hier reagierte man sehr zurückhaltend auf uns, handelte es sich doch trotz allem um eine Aktivität der Kirchen, der man grundsätzlich mit Misstrauen begegnete.

Erst im Zusammenhang mit den Wahlen im Frühjahr 1989 in der DDR wurden auch die ersten Ausländerzahlen in der DDR veröffentlicht. Das politische Eintreten für soziale Mindeststandards und für Angebote einer gemeinsamen Freizeitgestaltung bestimmten schon bald die Anfänge der kirchlichen Ausländerarbeit.

  1. Erste Publikationen erscheinen

Um den ganzen Themenbereich publik zu machen, haben wir im LMW die erste Arbeitshilfe für Mitarbeiter und Kirchgemeinden erstellt. Diese Arbeitshilfe wurde in Pfarrkonventen, Bezirkssynoden u.a. vorgestellt, um damit das Thema zu forcieren. In dieser Zeit begann auch für mich die Arbeit in unseren drei Trägerkirchen in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg; aber auch für meine Kollegen in den anderen Landeskirchen. Der Besuch in den Pfarrkonventen und in Gemeinden war sehr wichtig, um Beauftragte für diesen Arbeitsbereich zu finden, aber auch um in den Kirchgemeinden zu informieren, damit sie sich der Thematik annahmen. Im kirchlichen Bereich fragten viele, ob wir uns wirklich mit diesem Thema befassen müssen.

Es entstand die Idee, einen regelmäßigen Informationsdienst für Interessierte und Mitarbeiter anzubieten, und so verabredeten wir im Leitungsteam, einen solchen Dienst aufzubauen. Der damalige Direktor des ÖMZ in Berlin, Pfarrer Christfried Berger, hat diese Idee besonders gefördert. Bereits im Juli 1989 konnte auf dem Evangelischen Kirchentag in Leipzig mit der ersten Ausgabe der Zeitschrift „nah & fern“ aufgewartet werden. Die Zeitschrift sollte mit Grundsatzartikeln, Hintergrundinformationen, Berichten, Anregungen sowie Terminhinweisen dazu beitragen, das Thema in die Gemeinden und zu den Mitarbeitern zu bringen.

Der Kirchentag in Leipzig war zu diesem Zeitpunkt für uns eine wichtige und gute Plattform, um das Thema der Ausländerseelsorge in Foren, Diskussionsrunden und durch andere Formen von Veranstaltungen in die Öffentlichkeit hinein zu tragen um damit Anstöße zum Handeln zu geben. In den zahlreichen Veranstaltungen wurde sehr deutlich über die Situation der Ausländer, besonders der Vertragsarbeiter, diskutiert. Es ging also nicht nur um das Thema Seelsorge, sondern auch um die gesamte Lebenssituation dieser jungen Menschen. In der Zeitschrift „nah & fern“ und beim Kirchentag wurde aber auch über die Probleme der Deutschen mit den Ausländern gesprochen. Dass die Zeitschrift so schnell erscheinen konnte, war vor allem das Verdienst des damaligen Direktors, Pfarrer Christfried Berger, der die redaktionelle Arbeit maßgeblich geprägt hat. Der Titel „nah & fern“ bezog sich programmatisch übrigens nicht nur auf das Gespräch zwischen DDR- Bürgern und Ausländern, sondern auch, wie Berger im Geleitwort zur 1.Ausgabe schrieb, auf das Gespräch innerhalb der DDR:„nah & fern“ will Konfessionsgrenzen überschreiten, aber auch die leider zu beobachtende Ferne zwischen Staat und Bürgern. Die unter uns lebenden Ausländer sind genauso wie wir Bestandteil unserer Gesellschaft. Der Abbau von Vorurteilen oder von Fremdenfeindlichkeit kann nicht „von oben“ verordnet werden, sondern nur von uns allen dadurch erreicht werden, indem wir das Gespräch suchen und alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit ausschöpfen.“

  1. Weitere Begegnungsmöglichkeiten entstehen

Nach dem Vorbild des „Grünen Salon“ in Leipzig kam es in der gesamten DDR zur Gründung von weiteren Begegnungsabenden zwischen Ausländern und Deutschen. Diese Begegnungsabende trugen den Namen „Cabana“ (portugiesisch „ kleine Hütte“). Die erste „Cabana“ entstand im November 1988 in der Evangelischen Bartholomäus Gemeinde in Berlin unter der Leitung von Pfarrerin Almuth Berger. Weitere Begegnungsabende wurden in Dessau, Weimar, Erfurt, Halle, Dresden, Potsdam, Freiberg, Suhl, Zwickau, Gotha, Jena, Görlitz und Nordhausen geschaffen. Einige wenige dieser Begegnungsabende trugen einen anderen Namen. Diese Abende fanden monatlich oder wöchentlich statt. Es waren interkulturelle und interreligiöse Treffen, und wie beschäftigten sich häufig auch mit Alltags- und entwicklungspolitischen Themen.

  1. Die kirchlichen Strukturen werden erweitert

Am 21. November 1989 fand in Leipzig die erste offizielle Sitzung des Ökumenischen Arbeitskreises für Ausländerfragen in der DDR statt. Dieser Arbeitskreis arbeitete von Anfang an ökumenisch unter dem Dach der AgcK (später der ACK). Die Leitung hatte Dagmar Henke, ÖMZ, später Berliner Missionswerk, Klaus Pritzkuleit für die Freikirchen und Dieter Braun vom LMW. In diesem Arbeitskreis haben Vertreter aus den Landeskirchen Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, der Kirchenprovinz Sachsen, Mecklenburg, Vorpommern, eine Vertreterin der Katholischen Kirche und eine Vertreterin der Evangelisch- methodistischen Kirche mitgearbeitet. In ihm wurden gemeinsame Aktionen und Strategien entwickelt und viele Fragen und Probleme diskutiert. Man traf sich 4x im Jahr und bei den Jahrestagungen des Arbeitskreises. Dieser Kreis existierte bis Ende 2010.

  1. Runde Tische werden eingerichtet

Am Zentralen Runden Tisch in Berlin und auch in verschiedenen anderen Städten und Bezirken entstanden weitere Runde Tische und damit Arbeitsgruppen /Kommissionen zu diesem Thema, die sich mit der Situation von Ausländern in ihrem Bereich befasst. Die Mitglieder der Kommissionen und Arbeitskreise suchten erstmals Heime und Betriebe auf, um die Unterbringung und Behandlung der Ausländer zu kontrollierten. An dieser Aufgabe haben viele Vertreter aus den Kirchen mitgearbeitet und legten so den Finger in die Wunden. Es wurden durch die Gruppen verschiedene unterschiedliche Forderungskataloge erarbeitet und den Gremien vorgelegt. Später wurde die Einrichtung von Stellen für Ausländerbeauftragte auf den unterschiedlichsten Ebenen gefordert. An dieser Stelle wirkte ich in Leipzig mit, in Berlin Pfarrerin Almuth Berger, Pfarrer Christfried Berger, Pfarrerin Dagmar Henke und Klaus Pritzkuleit. Viele Vertreter der Kirchen sind durch diese maßgebende Mitarbeit in solche Stellen berufen bzw. ausgewählt worden.

  1. Kontakte werden ausgedehnt

Im Dezember` 89 gibt es in Berlin die erste Veranstaltung und die ersten Gespräche mit Vertretern der kirchlichen Ausländerarbeit von Westberlin. In den folgenden Monaten wurden diese Gespräche verstärkt fortgesetzt. Daran nahm auch der dortige Ausländerbeauftragte der Evangelischen Kirche, Hanns Thomä Venske, teil.

Die Arbeit mit ehrenamtlichen Mitarbeitern in diesem Bereich der Kirchen ist in dieser Zeit immer wichtiger geworden. Die Mitarbeiter wurden durch den Leitungskreis zu Seminartagen, Cabana-Treffen und Jahrestagungen eingeladen, damit sie zugerüstet wurden und damit eine Vernetzung der Aktivitäten geschah. Die zum Teil ehrenamtlichen Ausländerbeauftragten der Kirchen werden nach und nach zu hauptamtlichen Ausländerbeauftragten in ihren Kirchen, kirchlichen Wohlfahrtsverbänden oder in Vereinen mit sehr unterschiedlichem Stellenumfang.

1990 findet die erste Jahrestagung der Ökumenisch kirchlichen Ausländerarbeit in der DDR unter der Leitung des Leitungsteams in Leipzig statt.

Am 24.04.1990 kommt es in Berlin zur ersten gemeinsamen Demonstration zum Thema: „Ausländer und Deutsche in Ost und West – Menschenrechte sind unteilbar“. Am 7. Mai 1990 bittet Almut Berger, die inzwischen die erste Ausländerbeauftragte einer DDR-Regierung ist, kirchliche und nichtkirchliche Flüchtlingsorganisationen von Westberlin, zehn tamilische und drei iranische Flüchtlinge am Flughafen Schönefeld abzuholen und diese in Westberlin unterzubringen. Das Gleiche geschieht im Juni erneut mit sechs Libanesen, einem Palästinenser und zehn Kurden aus der Türkei. In der DDR war eine Aufnahme noch nicht möglich. Im Sommer 1990, noch vor der Wiedervereinigung, wird der Leitungskreis nach Schweden zu einer ersten gemeinsamen internationalen Tagung über Ausländer-und Asylarbeit eingeladen, und wir konnten uns ein Bild von künftigen Aufgaben machen.

Im Herbst 1990 beteiligen sich die ersten Kirchgemeinden im Osten an der bundesweit durchgeführten „Woche der ausländischen Mitbürger“ zum Thema: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (GG Artikel 1). Im Vorfeld trafen wir uns in Berlin mit Hanns Thomä-Venske und einigen anderen Vertretern der Kirchen von Westberlin, um gemeinsame Absprachen zu treffen. In den alten Bundesländern war diese Woche bereits etabliert und damals von den Kirchen ins Leben gerufen worden. So sollte diese Woche auch in den neuen Bundesländern und in deren Kirchen verankert werden. Dies gelang schon 1990 in Ostberlin und in Leipzig. Im September 1990 kam es zu Gesprächen zur Koordinierung der kirchlichen Ausländerarbeit, und das Leitungsteam nahm an der Sitzung der „Konferenz der Ausländerreferentinnen und Referenten“ (KAR) der Landeskirchen und Werke der EKD in Hannover teil. Auf den unterschiedlichen Ebenen wurde über ein Konzept für die gemeinsame kirchliche Ausländerarbeit beraten. Während sich die Ausländerarbeit als fester Bestandteil der kirchlichen Arbeit etablierte und in den Neuen Bundesländern und in den Kirchen Ausländerbeauftragte ernannt wurden, kam es immer wieder zu Ausschreitungen gegenüber Migrantinnen und Migranten. Bis Ende 1991 wurden deutschlandweit mehr als 500 Anschläge auf Ausländerwohnheime, Asylheime und Lager gezählt. Es gab 300 Brandanschläge mit vier Toten und weit über 200 schwerverletzte Menschen. In dieser Situation bezogen die Kirchen, Einrichtungen der Kirchen und viele der Kirchenleitungen / Synoden klare Position und verurteilten diese Übergriffe sehr deutlich. Es kam zu zahlreichen Aktivitäten, Mahnwachen, Seminaren, Demonstrationen, Untersuchungen und ganz praktischen Aktionen. So erfolgte durch mich in Leipzig die Gründung einer „Kette gegen Gewalt“, bei der sich einige Personen schützend vor die Asylheime stellten oder bei Angriffen den Asylsuchenden in den Heimen Beistand leisteten. Zur gleichen Zeit entstanden nach und nach die Flüchtlingsräte auch durch die haupt-und ehrenamtlich engagierten Mitarbeiter aus dem kirchlichen Bereich. Sie setzte sich mit anderen Gruppen und mit Flüchtlingen für deren Rechte ein. Sie verstanden sich als Interessenvertretung gegenüber Behörden, politischen Entscheidungsträgern und in der Öffentlichkeit. Sie sollten beraten und informieren zu asyl- und flüchtlingspolitischen Themen. Leider durften viele der haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter lange Zeit nicht in die Asylheime. Es hat viele und lange Verhandlungen gegeben, bis dies dann später möglich wurde. In der Stadt Leipzig begann die Arbeit des Flüchtlingsrats 1990 in Thüringen und Sachsen 1991; in Berlin wurde der Flüchtlingsrat von Westberlin sehr schnell auf Ostberlin erweitert. Nach dem Mauerfall und dem Zusammenbruch der Wirtschaft wurden die Regierungsverträge der DDR- Regierung unwirksam; sie wurden für null und nichtig erklärt. Viele Betriebe lösten die Arbeitsverträge mit den Vertragsarbeitern auf, und viele von ihnen wurden entlassen. Manche wurden mit Geld abgefunden, damit sie freiwillig nach Hause gingen. Einige dieser jungen Leute weigerten sich aber. Dies war für beide Seiten eine schwierige Situation. Die Kirchen und die Beratungsstellen setzten sich verstärkt für die Probleme der Vertragsarbeiter ein und verhandelten mit staatlichen Stellen, um eine humanitäre Lösung zu finden. Dazu gab es als Unterstützung zahlreiche Aktionen wie u.a. 1992 eine Protestveranstaltung im Magdeburger Dom, an der sehr viele Vertragsarbeiter und Deutsche teilnahmen. Gleichzeitig gab es nach der Wende vielfältige andere Probleme, besonders durch die Währungsunion. Zahlreiche ausländische Studenten hatten große finanzielle Schwierigkeiten, weil ihr Stipendium z.B. von einigen Stiftungen oder von Parteien wegfiel bzw. sie von ihrem Heimatland nicht mehr finanziert werden konnten. Viele osteuropäische, aber besonders afrikanische Studenten, waren in große finanzielle Nöte geraten und mussten teilweise ihr Studium abbrechen. Manchen Studenten konnte durch Mittel der Kirchen, der Diakonie und durch Spenden geholfen werden.

Ein weiteres großes Problem entstand, als nach der Wiedervereinigung auch Asylsuchende in die neuen Bundesländer verteilt und Asylheime sowie Lager für die Unterbringung in den Landesregionen eingerichtet wurden. Diese Heime und Lager wurden in den Neuen Bundesländern in kurzer Zeit von Privatbetreibern aufgebaut. Betreuung und Sozialarbeit gab es meist nur sehr eingeschränkt. Der Standard für diese Arbeit war meist auf dem niedrigsten Niveau. Wohlfahrtsverbände wie Caritas und die Diakonischen Werke hatten so gut wie keine Chance, diese Aufgaben zu übernehmen, da sie höhere Ansprüche an diese Arbeit hatten. Die möglichen Mehrkosten wollten die staatlichen Stellen nicht übernehmen.



4. Kirchliche Ausländerarbeit auf dem Weg

Die Einrichtung von Asylunterkünften und Aussiedlerheimen rief große Ängste und Proteste in der Bevölkerung hervor. So wurden oftmals die kirchlichen Beauftragten zu Veranstaltungen gerufen, um als Vermittler aufzutreten und um über Flüchtlinge und Asylsuchende aufzuklären. Eine außerordentliche Hilfe zu diesem Zeitpunkt war, dass einige Kirchgemeinden ihre Räume und ihre Kirchen für diese Arbeit öffneten. So konnten sich Ausländer, Flüchtlinge und andere Migranten selbst organisieren. Es gab in Ostberlin, Eisenach, Weimar und in Leipzig in den Evangelischen Kirchgemeinden Mosambikanische und andere ausländische Gemeindegruppen.

Mitarbeiter in den Kirchenkreisen und die Kirchgemeinden wurden durch Aufrufe aufgefordert, sich besonders für Flüchtlinge zu öffnen. Sie sollten Kontakte zu Asylsuchenden in den Heimen aufnehmen und ihnen auch in den unterschiedlichen Notlagen nahe sein. Dieses Anliegen wurde dadurch gefördert, dass wir als kirchliche Ausländerbeauftragte Flüchtlinge, Aussiedler oder andere Ausländer zur Mitwirkung bei Gemeindediensten, Vorträgen, Gottesdiensten aufforderten und damit Vorurteile, Hemmungen, Ängste abbauen halfen. Einige von uns haben Rüstzeiten für hier lebende Vertragsarbeiter und Studenten angeboten. Die meisten Teilnehmer waren Mosambikaner und Angolaner. Wir boten ihnen damit ein Stück Begegnung, Gemeinschaft, Erholung und Zurüstung für den Alltag als Christ und für ihr Leben in diesem Land an.

Die Kirchen, ihre Einrichtungen und die Mitarbeiter in diesem Bereich haben in der Zeit vor und nach der Wende die Ausländer- und Flüchtlingsarbeit in der DDR und dann in den Neuen Bundesländern maßgebend mit geprägt und prägen sie bis in die heutige Zeit hinein. Leider wurden in den letzten Jahren viele der kirchlichen Stellen und Angebote, Beratungsstellen usw. aus finanziellen Gründen wieder gestrichen.

Leipzig, den 27.4.2011