Almuth Berger

Politemigranten, Solidaritätsaktionen, Studenten

Auszug aus einem Vortrag

Das Asylrecht wurde in der DDR als Recht des Staates auf Asylgewährung und nicht als ein Recht des Asylsuchenden betrachtet. Den einschlägigen multilateralen Abkommen wie z. B. der Genfer Flüchtlingskonvention war die DDR nicht beigetreten.

 

Die Verfassung (Art. 23 Abs. 3) nennt die möglichen Gründe für eine Asylgewährung: "die Deutsche Demokratische Republik kann Bürgern anderer Staaten oder Staatenlosen Asyl gewähren, wenn sie wegen politischer, wissenschaftlicher oder kultureller Tätigkeit zur Verteidigung des Friedens, der Demokratie, der Interessen des werktätigen Volkes oder wegen ihrer Teilnahme am sozialen und nationalen Befreiungskampf verfolgt werden".

 

Zuständig für Gewährung oder Aberkennung von Asyl ist der Ministerrat, meist wurden die konkreten Absprachen allerdings mit dem Solidaritätskomitee geführt.

 

Die ersten dieser "Politemigranten", wie sie genannt wurden, waren - bereits 1949 -

Griechen, die vor der Militärdiktatur flohen, gefolgt von Spaniern 1950. Verhältnismäßig viel Sympathie in der Bevölkerung genossen die Chilenen, von denen 1973 nach der Ermordung Allendes und der Übernahme der Regierung durch die Militärjunta unter Pinochet eine größere Anzahl in die DDR kam.

Dabei spielte ganz sicher eine Rolle, dass für viele Menschen auch in der DDR mit der Person Allendes die Hoffnung auf einen Sozialismus mit menschlicherem Gesicht verbunden war - ähnlich wie davor mit der Person von Dubcek in der Tschechoslowakei - und dass deshalb seinen Anhängern große Anteilnahme entgegengebracht wurde. Unter den Chilenen waren eine Reihe von Künstlern - vor allem Musiker, die mit ihren Liedern und den Lateinamerikanischen Klängen viele begeisterten. Wichtig war wohl auch, dass viele Familien kamen und über die Kinder im Kindergarten, Schule und Nachbarschaft schneller Kontakte entstanden als bei einzelnen Erwachsenen. Bei der Aufnahme wurden nicht nur Arbeits- oder Ausbildungsplätze vermittelt, sondern den Familien auch zinslose Kredite gewährt zur Wohnungseinrichtung.

 

In den 70er und 8Oer Jahren fanden dann vor allem Angehörige des ANC, der SWAPO, der PLO und der nikaraguanischen Befreiungsbewegung Aufnahme in der DDR. Eine Vereinbarung zwischen dem Zentralkomitee der SED und dem Exekutivkomitee des Afrikanischen Nationalkongresses Südafrika regelte z.B. Anfang der 70iger Jahre Besuche, medizinische Behandlungen und Schulungen von "Kadern" des ANC an Parteischulen, an Schulen der Gewerkschaft und der FDJ (ähnliche Kaderschulungen gab es auch für Genossen aus anderen Ländern - 400 waren es 1987 auf 11 Bezirksparteischulen allein aus afrikanischen Ländern) später ging die Entwicklung bis zu einer eigenen Botschaft des ANC und der SWAPO. Während die Effektivität und Wirkung der kostenaufwendigen 1jährigen Kaderschulungen mit Recht angezweifelt werden kann, waren die Studienmöglichkeiten für Angehörige von ANC oder SWAPO mit den vom Solidaritätskomitee zur Verfügung gestellten Stipendien sicher eher sinnvoll.

 

Ein Beispiel, wo für meine Begriffe tatsächlich solidarische Hilfe gepaart mit fachlicher Kompetenz praktiziert wurde, war die Solidaritätsstation im Klinikum Buch, die aus schließlich der Behandlung und Rehabilitation ausländischer Patienten zur Verfügung stand und von 1978 bis 1991 existierte.

Die ersten Patienten kamen nach dem Überfall auf ein namibisches Flüchtlingsdorf in

Kassinga, im Süden Angolas, durch südafrikanische Fallschirmjäger. Für die über 1000 Verletzten gab es in Angola keine ausreichende medizinische Hilfe, die DDR - vertreten durch das Solidaritätskomitee - bot medizinische Behandlung für eine begrenzte Zahl von Verletzten an.

 

Daraus entwickelte sich die Solidaritätsstation, auf der bis 1991 über 1000 Patienten aus 40 Ländern behandelt wurden. Die letzten Patienten waren 1990/91 irakische Kurden mit schweren Napalmverletzungen und rumänische Securitate-Opfer.

 

Die Behandlungskosten wurden vom Solidaritätskomitee getragen, in einzelnen Fällen vom Gesundheitsministerium der DDR, vom Zentralkomitee der SED oder vom Freien Deutschen Gewerkschaftsbund. Ein Großteil der namibischen Patienten erhielt im Anschluss an ihre Behandlung eine Ausbildung in der DDR.

 

Die medizinische Behandlung war wie unterschiedliche Ausbildung ein Teil der Konzeption - von Solidaritätsarbeit der DDR, die immer wieder im Spannungsfeld zwischen ideologischem Anspruch, eigenen ökonomischen Interessen und effektiver Hilfe standen. Besonders ambivalente Beispiele dafür waren solche Einrichtungen wie die "Schule der Freundschaft" in Staßfurt bei Magdeburg oder das Kinderheim Bellin bei Krakow am See in Mecklenburg.

 

Ende der 70er Jahre wurde die "Schule der Freundschaft" für Kinder von Frelimo­ Angehörigen aus Mocambique eingerichtet. 8 - 10jährige Kinder kamen dorthin, haben für 6 - 8 Jahre dort Schulunterricht und Lehre absolviert, ohne die Möglichkeit eines Heimaturlaubes zwischendurch. Bei ihrer Rückkehr hatten sie normalerweise kaum eine Chance, sich in ihrer Heimat wieder einzuleben.

 

Mitte der 80er Jahre wurden in Staßfurt und Bellin dann fast 300 namibische Kinder aufgenommen, die 1990 in das selbständige Namibia zurückgeholt wurden, obwohl sie keinen Schulabschluss hatten und große Schwierigkeiten bei der Reintegration bekamen. Natürlich waren sie auch in der DDR damals nicht integriert, sondern lebten relativ abgesondert - unter Heimbedingungen und nur mit punktuellen Kontakten zur Bevölkerung. Die Aufnahme von Kindern und Jugendlichen hatte in der DDR bereits eine gewisse Tradition: im Jahr 1950 waren 700 griechische Kinder in das Heim Kombinat "Freies Griechenland", aufgenommen worden, 600 koreanische Waisenkinder kamen 1952/53 und auch eine größere Zahl von vietnamesischen Kindern soll es in einem Heim gegeben haben.

 

Die bisher angeführten Beispiele zeigen Gruppen von Ausländern, die - zwar in unterschiedlichem Ausmaß - insgesamt eher wenig bis gar keinen Kontakt zur Bevölkerung hatten und insofern eine wirkliche Randexistenz führten. Vielleicht mit Ausnahme der Griechen, Spanier und Chilenen wurden sie - wenn überhaupt - als Objekte von Solidarität und Hilfe wahrgenommen, nicht als Mitbürger.

 

Almuth Berger hielt diesen Vortrag auf dem Seminar vom 25. - 28.10.1998, Ost-West-Kolleg der Bundeszentrale für politische Bildung in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF). Der Vortrag wurde zum Thema gehalten: "Prekäre Lebenslagen. Disziplinierung und Normalisierungsdruck in der Arbeitsgesell­schaft DDR"