Ginga Eichler

Der Blick zurück - Frauen, Flüchtlinge, Freundinnen

Ginga Eichler erinnert sich. Sie gratulierte zum 20jährigen Bestehen von



 

Liebe Thu, liebe Frauen von VINAPHUNU vom ASIATICUS,


seit Wochen versuche ich mich daran zu erinnern, wann und unter welchen Umständen ich Dir, liebe Thu, ich Euch, liebe Frauen im ASIATICUS, das erste Mal begegnet bin. Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich weiß es nicht mehr… Die Erinnerungen an die konkreten Umstände, unter denen wir uns im Frühjahr 1990 trafen, sind verblasst. Aber ich glaube, es war in der Mulackstraße in Berlin-Mitte, wo das Interkulturelle Frauenzentrum S.U.S.I. seine ersten Büroräume hatte und wir gemeinsam mit Christiane Barckhausen, über ein Interkulturelles Haus nachdachten. Wir suchten damals nach einem gemeinsamen Ort und Räumen, für die Gruppen und Vereine, die sich für die Rechte der ”ausländischen Werktätigen der DDR” einsetzten. Wir suchten nach Wegen und Mitteln, um dem offen ausbrechendem Rassismus gegen unsere Freundinnen und Freunde aus Vietnam, Angola, Mosambik, Kuba und anderen in der DDR lebenden Ausländern, die Stirn bieten zu können.

 

Damals arbeitete ich noch in der Liga für Völkerfreundschaft und viele meiner Kolleginnen und Kollegen, wollten auch unser Haus, unsere Möglichkeiten dafür nutzen, dass die Freundschaft und Solidarität mit anderen Völkern, die den meisten von uns wirkliche Herzenssache und nicht nur Lippenbekenntnis oder gar nur Broterwerb war, auch in den nun neuen, schwierigen Zeiten als etwas Wertvolles bewahrt und verteidigt wird. Die Ereignisse überrollten dann die meisten unserer Überlegungen. Durch demokratische, antirassistischen Kräfte in Westberlin und in der ehemaligen BRD waren in den 80iger Jahren dort zäh erkämpfte Strukturen der “Ausländerarbeit” entstanden.
Diese Erfahrungen wollten wir gerne übernehmen. Gutes und Bewährtes der Menschenrechtsarbeit und des Eintretens für die Rechte von Flüchtlingen, galt es schnell weiter zu entwickeln, um es gestärkt in den Vereinigungsprozess einbringen zu können. Dies ist teilweise gelungen und das auch und vor allem Dank der beherzten und klugen Frauen aus Vietnam, die sich sowohl im ASIATICUS im Prenzlauer Berg als auch in der Reistrommel in Marzahn, in der Bürgerinitiative in Hohenschönhausen und auch im Interkulturellen Frauenzentrum vom Verein S.U.S.I. sowohl für die Rechte der vietnamesischen Vertragsabeitnehmerinnen und -nehmer der DDR als auch für vietnamesiche Flüchtlinge aus den ehemaligen sozialistischen Nachbarländern einsetzten.

 

Im Juni 1990 fragte mich Annetta Kahane, die erste und letzte Ausländerbeauftragte des Berliner Magistrats der (noch) Hauptstadt der DDR, ob ich für ihr Büro arbeiten würde. Ich zögerte nicht und traf dann auch in unserem Büro im Roten Rathaus Thu wieder. Ich gestehe, zu dem Zeitpunkt wußte ich fast nichts über die reale Situation der vietnamesischen Frauen in der DDR. Vor allem durch die Gespräche mit Thu, musste ich mit Scham zur Kenntnis nehmen, dass die von den Partei-und Regierungsorganen Vietnams und der DDR abgeschlossenen Verträge über den Aufenthalt und die Arbeits- und Lebensbedingungen vietnamesischer Werktätiger in der DDR wohl vornehmlich nach ökonomischen “Kosten-und Nutzen-Erwägungen” für beide Regierungen abgeschlossen wurden. Wirtschaftliche Engpässe und Probleme beider Staaten, sollten vor allem auf Kosten und den Rücken vietnamesischer Frauen überwunden bzw. gelöst werden. Meine Kindheit und Jugend in der DDR war geprägt von gern geleisteten “Subbotniks” (Arbeitseinsätzen) und Solidaritätsspenden für den von mir und vielen meiner Altersgenossinnen und -genossen bewunderten heldenhaften Kampf des vietnamesischen Volkes gegen den verbrecherischen Krieg der USA-Regierung gegen Vietnam. Nun musste ich mit Entsetzen hören und später auch lesen, wie vor allem die noch Anfang 1990 in der DDR arbeitenden ca. 60.000 vietnamesischen Arbeitskräfte, hauptsächlich Frauen, möglichst schnell “entsorgt”, sprich nach Vietnam zurückgeschickt werden sollten. Auch dies sei wiederum einzig und allein angeblichen ökonomischen Zwängen im Rahmen des deutschen Einigungsprozesses geschuldet. Damit waren dem Rassismus, Sozialneid und Hass alle Schleusen geöffnet und schon lange gehegte Vorurteile und Hassparolen wurden ungeniert geäußert, veröffentlicht und später sogar als Gründe zitiert, um die “ausländischen Werktätigen”, die man holte, als “nicht mehr benötigte Arbeitskräfte ” wieder loszuwerden. Erneut  eine fatale Kosten-Nutzen-Rechnung. Die “Kosten” dieser menschenverachtenden Politik kapitalistischen Profitdenkens trägt heute ganz Deutschland. Ein wieder hoffähig gewordener Fremdenhass, deutschtümelnde Feindlichkeiten gegen Zuwanderer und wissenschaftlich verbrämte demoskopische Überlegungen gegen Flüchtlinge machen sich in allen Medien breit.
Doch zurück zu den frühen Neunzigern:
Viele DDR-Bürgerinnen und Bürger, die sich ehrlichen Herzens den sozialistischen Idealen der Freundschaft und Solidarität mit anderen Völkern verpflichtet fühlten, forderten einen anderen Umgang mit ihren/unseren Arbeitskolleginnen und Kollegen aus anderen Ländern.
Es waren vor allem Menschen, die aus ihrem christliche Menschenverständnis heraus, den Umgang der DDR-Behörden mit den DDR-Vertragsarbeitnehmerinnen und -nehmern kritisch sahen. Sie hatten schon Jahre vorher die Zwänge, denen die vietnamesischen Frauen durch die Regierungsverträge unterworfen waren, kritisch hinterfragt und Änderungen der Verträge im Sinne der betroffenen Frauen und Männer gefordert. In dieser sehr schwierigen ökonomischen und politischen Situation wollten viele DDR-Bürgerinnen und Bürger nicht zulassen, dass die sich neu zu formierende Bundesrepublik Deutschland versucht, ihre Probleme und Zwänge auf Kosten Anderer zu lösen. Sie forderten daher, dass die Vertragsarbeitnehmer und -nehmerinnen der DDR, unsere “Gastarbeiter”, zumindest die gleichen Rechte erhalten, wie die “Gastarbeiter” der ehemaligen BRD. Wir forderten also ein Bleiberecht, was auch juristisch diesen Namen verdient. Im Frühsommer 1991 erhielt ich die Chance, dieser Forderung auch auf Regierungsebene Gehör zu verschaffen. Auch wenn es mir aus vielen Gründen sehr schwer fiel, das Angebot für die Bundesregierung zu arbeiten, anzunehmen, sah ich es auch als Chance im Sinne dieser Forderung. Frauen waren es vor allem, die mich ermutigten, diese Stelle im Amt der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung anzunehmen und Thu vom ASIATICUS gehörte dazu.

 

Ich war mir damals sehr wohl bewusst, dass ein Bleiberecht für die DDR-Vertragsarbeitnehmer nicht im Interesse der Bundesregierung war. Besonders der deutsche Innenminister und leider auch Beamte des dafür zuständigen Bundesarbeitsministeriums verlangten die sofortige Rückkehr der von der DDR-Regierung vertraglich verpflichteten Arbeitnehmerinnen und -nehmer in ihre Herkunftsländer. Es dauerte weitere 5 Jahre, bis durch zähes Ringen, viele Kundgebungen, juristische Verfahren und politische Kompromisse etwas erreicht werden konnte, was einem Bleiberecht fast gleichkam. Dies ist auch dem zähen Widerstandswillen der vietnamesischen Frauen vom ASIATICUS in Berlin geschuldet. Sie haben die schwierige Zeit der Arbeitslosigkeit, der juristischen Pattsituation und ihrer ungeklärten Aufenthaltsrechte erfinderisch und mit großem persönlichen Mut überstanden. Mit viel Einfallsreichtum gestalten sie für sich, ihre Kinder und ihre Familienangehörigen in Vietnam eine menschliche Zukunft. In diesen Jahren konnte auch ich im Asiaticus bei Thu und ihren Frauen, immer wieder Mut schöpfen und Kraft tanken, um meinen Teil für ein juristisch gesichertes Bleiberecht beitragen zu können. Dafür danke ich Euch!


Heute heben die Medien die Integrationsleistungen der vietnamesischen Kinder und Jugendlichen, ob nun hier geboren oder erst nachgezogen, hervor. Dabei wird leider all zu oft vergessen, dass diese nur dank der beharrlichen und zu großen Teilen sich auch immer noch selbstausbeutenden Zukunftszuversicht der vietnamesischen Frauen möglich war und ist. Es ist VINAPHUNU und seine (ihre) gute Seele Thu, die dafür den Rahmen geschaffen haben. ASIATICUS und VINAPHUNU sind für viele vietnamesische Familien Heimat in der deutschen Fremde, die selbst schon längst die zweite Heimat geworden ist.
Dafür gehört Euch all meine Bewunderung und Hochachtung!

Berlin, 7.2011





 

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