Afrikaner in der DDR

Am 27. April 1990 waren noch in DDR-Betrieben registiert: 18.895 gesamt, davon 1.934 Frauen. Aus Mosambique: 15.895, unter ihnen 1.522 Frauen

(Zahlen stammen aus dem Staatssekretariat für Arbeit und Löhne vom 27. April 1990)



Almuth Berger

Vertragsarbeiter: Arbeiter der Freundschaft? Die Verhandlungen in Maputo 1990

aus einen Beitrag, gehalten vor der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt im Jahr 2004

Damals, Ende der 80er Jahre, war ich Pastorin in der Berliner St. Bartholomäus­ Gemeinde. Von der Landeskirche war ich zusätzlich beauftragt mit der Seelsorge für die Gemeinde der mosambikanischen Christen, die bei uns eine Heimat gefunden hatten und arbeitete mit in dem Mosambik-Arbeitskreis des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR.

Seit 1971 gab es nämlich bereits Kontakte zwischen DDR-Kirchen und dem Christenrat in Mosambik­  .....

 

Es waren oft zuerst kirchliche Mitarbeiter, die versuchten, Kontakte zu den jungen Männern und (ziem­lich wenigen) Frauen aufzunehmen. Die Christen unter den Mosambikanern (bunt gemischt aus ganz unterschiedlichen Gruppierungen) waren froh, in Gemeinden Aufnahme zu finden, wo sie ihre Gottes­ dienste feiern konnten, aber auch Geburtstage, eine Trauerfeier für einen zuhause bei den Bandenüber­- fällen umgekommenen Angehörigen, die Osternacht nach ihrer ganz eigenen Tradition oder Weihnach­ten.ln vielen Gemeinden in der DDR war das so.

 

Die Berliner Bartholomäusgemeinde entwickelte sich zu einem besonderen Zentrum, weil ab 1986 im benachbarten Missionshaus ein mosambikaniseher Pfarrer mit seiner Familie lebte, zu einer theologischen Weiterbildung vom Bund der Evangelischen Kirchen der DDR eingeladen.

Es fanden dann sehr bald bei uns DDR-weite Gottesdienste und z.B. große Chortreffen statt. Regel­rechte Wettbewerbe zwischen den Chören, die an mehreren Orten der DDR entstanden waren, wurden organisiert. Es gab Preise und natürlich immer einen Gottesdienst dabei und ein großes gemeinsames Essen.
 
Im Sommer luden wir Mosambikaner und junge Deutsche zu Ferienbibelwochen ein -auch das gab es an mehreren Stellen in der DDR.

Wir lebten in bescheidenen Unterkünften, haben gemeinsam eingekauft und gekocht, viel gesungen und getanzt. Bibelarbeiten gemacht und intensive Gespräche geführt im wahrsten Sinne über "Gott und die Welt". Die Mosambikaner haben erzählt: über ihr Leben zuhause, ihre Kindheit unter Kriegsbedin­gungen, die Schule, die Kirchengemeinde. Sie haben Märchen erzählt, die es nirgendwo aufgeschrie­ ben gibt.
Wir haben versucht, ihre Trauer um Tote und ihre Angst vor dem unberechenbaren brutalen Krieg in ihrer Heimat zu teilen und ihre Freude, wenn es gute Nachrichten gab- ein Kind geboren wurde oder die Mutter nach langer Krankheit wieder gesund war.

Gerade diese gemeinsamen Ferientage haben meine Beziehungen zu den Frauen und Männern aus Mosambik besonders intensiv mit geprägt. Und dann gab es also die Cabana.
Am 1. November 1988 in der Berliner Bartholomäusgemeinde gegründet, unterstützt vom ökumenisch­ missionarischen Zentrum und von lnkota, von den staatlichen Stellen zu verhindern versucht und mit viel Misstrauen beobachtet, in vielen Städten der DDR dann als Anregung aufgegriffen und realisiert.
Eine richtige "Cabana"- -Bewegung entstand.

Cabana - die kleine Hütte- das war der Name für ein Begegnungszentrum für Aus- und Inländer, eine Möglichkeit, sich zu treffen, kennenzulernen, auszu-tauschen, über Themen ins Gespräch zu kommen, Musik zu hören und zu machen ...

Heute sind solche Treffs eine Selbstverständlichkeit, damals etwas Seltenes und Besonderes in der DDR.

Entstanden  war die Idee in dem Südafrika-Kreis der Jungen Gemeinde, der sich mit Apartheid und Rassismus auseinandersetzte und mit der Cabana eine ganz konkrete und von ihnen sehr engagiert wahrgenommene Form des solidarischen Einsatzes hier im Land gefunden hatte. Auch ein Nikaragua­ Kreis schloss sich an und ich denke, es war eine- vielleicht DDR-typische- besonders gelungene Zu­sammenschau von entwicklungspolitischem Engagement, Antirassismusarbeit und Einsatz für Auslän­der im eigenen Land.

Vielleicht möchten Sie uns auch behilflich sein, über ein Schicksal zu berichten? Wir würden uns über Ihr Interesse und Ihre Kontaktaufnahme freuen!

Die Mosambikaner waren von Anfang an dabei, daneben kamen Südafrikaner, Syrer, Äthiopier, Sudanesen, Polen, Kubaner, Chinesen, und manche andere ... nur die Vietnamesen waren selten Gäste an den Dienstagabenden in der zur Begegnungsstätte umfunktionierten Baracke der Bartholomäus­ Gemeinde.

Raum zu geben für Begegnungen mit Einheimischen, aber auch für das eigene Christsein - das  waren wichtige Funktionen der Kirchen und Kirchengemeinden in der DDR.

Darüber hinaus wurden aber auch aus dem kirchlichen Bereich kritische Fragen nach dem Umgang mit den Vertragsarbeitern gestellt, nach ihren Rechten bzw. den Einschränkungen, denen sei unterlagen. Es wurde protestiert gegen Ungerechtigkeiten oder besonders menschenunwürdige Behandlung z.B.
der Frauen, die schwanger wurden und nachhause zurückkehren mussten, denn laut Abkommen waren sie zum Arbeiten in der DDR und nicht zum Kinderkriegen. Und- es gab durchaus auch zu DDR-Zeiten diffamierendes, rassistisches Verhalten gerade gegenüber Mosambikanern und Angolanern.
 
Ich habe damals vermisst, dass das Solidaritätskomitee oder die "Liga für Völkerfreundschaft" sich in solchen Fällen einmal zu Wort gemeldet hätten. Aber es war wohl so, dass die Zuständigkeiten sehr genau aufgeteilt waren und man seine Grenzen eben nicht überschritt.

Die Bedingungen, unter denen die insgesamt über 20.000 Mosambikanerinnen und Mosambikaner in der DDR gearbeitet und gelebt haben, unterlagen wie die der anderen Vertragsarbeitnehmer der Ge­heimhaltung.

ln der Bevölkerung waren sie total unbekannt. Noch jetzt höre ich in Brandenburg gelegentlich eine Meinung, die sich hartnäckig gegen alle Versuche, sie richtigzustellen, behauptet hat: die Vertragsar­beitnehmer hätten ja alle Westgeld (D-Mark) bekommen.

Erst Anfang 1990 konnten die Regierungsabkommen im Rahmen der kirchlichen Ausländerarbeit zum ersten Mal öffentlich diskutiert und dann auch breiter bekannt gemacht werden.
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Und damit bin ich jetzt bei der nächsten Beschreibung zu meiner Person und gleichzeitig der nächsten Phase meiner Mosambik-Beziehung.

Meine Arbeit mit Mosambikanern in der Kirchengemeinde und mit Ausländern darüber hinaus in der CABANA brachte mir (von der Bürgerbewegung "Demokratie Jetzt", zu der ich gehörte) eine Delegie­rung in die Arbeitsgruppe "Ausländerfragen" am Zentralen Runden Tisch der DDR ein.

Ein Ergebnis dieser Arbeit: Der Runde Tisch empfahl die Einsetzung eines/einer Ausländerbeauftragten und schlug mich dafür vor.

So wurde ich am 1. März 1990 als Staatssekretärin und Ausländerbeauftragte beim Ministerrat der DDR berufen -damals noch in der "Regierung der nationalen Verantwortung" unter Modrow, nach der Wahl am 18. März von der dann gebildeten Koalitionsregierung unter de Maiziere übernommen.

Hatte ich bisher von außen kritisch fragen, auf Missstände aufmerksam machen, in der Arbeitsgruppe Forderungen stellen, in einzelnen Fällen auch einmal helfen und viele persönliche Kontakte ansonsten einfach genießen können, war ich nun plötzlich mit zuständig. Ich musste- zusammen mit meinen Mit­ arbeiterinnen und Mitarbeitern versuchen, Missstände abzustellen, die eigenen Forderungen umzuset­ zen, Ungerechtigkeiten zu verhindern. Es waren hohe Maßstäbe und Erwartungen, die wir damals an uns selbst stellten und die an uns gestellt wurden -von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe, von Initiati­ ven, von den kirchlichen Gruppen und im übrigen auch etwa von Flüchtlingsinitiativen -vor allem aus Westberlin, die hofften, wir würden jetzt alles schaffen, was sie nicht erreicht hatten- ein neues, libera­ les Asylrecht z.B.

Dass wir all diesen hohen Erwartungen noch dazu in der kurzen Zeit, die uns blieb bis zum Beitritt der DDR am 3.10.1990, gar nicht gerecht werden konnten, war eigentlich klar. Zumal viel schneller als wir es dachten und es wahr haben wollten, gerade in der Ausländerpolitik die Bundesrepublik ihre Politik durchsetzte und alle eigenständigen Ansätze im Asyl- oder Ausländerrecht überhaupt nicht zum Zuge kamen.

Einen Schwerpunkt in der Arbeit bildeten von Anfang an die Fragen nach den Auswirkungen der Wende auf die Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter.

Zur Erinnerung:
90.000 waren Ende 1989 in der DDR- darunter 60.000 aus Vietnam, 16.000 aus Mosambik, 10.000 aus Kuba.

Sie arbeiteten vor allem da, wo es um Sicherstellung des Warenbedarfs in der Bevölkerung ging- also in der Leichtindustrie, in Fleisch-Kombinaten, in der Chemieindustrie, im Baubereich, im Dienstleis­tungsbereich.

Sie waren untergebracht in Wohnheimen, die durchaus den gleichen Standard hatten wie andere Lehr­ lingswohnheimeoder Arbeiterwohnheime. Nur konnten sie am Wochenende nicht nachhause fahren. Ihr Aufenthalt, ihre Unterbringung, ihr Einsatz im Betrieb waren detailliert geregelt in den ,,Abkommen über die zeitweilige Beschäftigung mosambikanischer, angolanischer oder vietnamesischer Werktätiger in sozialistischen Betrieben der Deutschen Demokratischen Republik".

ln den Abkommen mit Vietnam und Angola hieß es "Beschäftigung und Qualifizierung", im Abkommen mit Mosambik lautete die Beschreibung: "Beschäftigung bei gleichzeitiger Vermittlung praktischer Be­rufserfahrung im Prozess der produktiven Tätigkeit und beruflichen Aus- und Weiterbildung im Rahmen der betrieblichen Erwachsenenqualifizierung."

ln der Öffentlichkeit wurde damals der Einsatz der Arbeiter als solidarische Hilfe für befreundete sozia­ listische Länder dargestellt, die unter Krieg und Kriegsfolgen litten, durch die junge Leute eine Ausbil­ dung und Arbeitsmöglichkeit erhalten sollten, die ihnen im Heimatland nicht möglich war.

Wie weit der Einsatz auch von kommerziellen Interessen der DDR bestimmt war, haben wir nicht wahr­genommen.

Um Missverständnisse zu vermeiden:
Ich weiß und habe es miterlebt, wie wichtig es für die jungen Mosambikaner war, einen Arbeitsplatz zu haben, regelmäßig etwas zu verdienen und Pakete nachhause schicken zu können und trotzdem noch möglichst viel zu sparen, um dann bei der Heimkehr einen Kühlschrank oder gutes Werkzeug mitneh­men zu können.
Ich weiß auch, dass es viel ehrliches und engagiertes solidarisches Verhalten gegeben hat bei Betreu­ern, bei Arbeitskollegen und Brigadieren, auch bei so manchen Familien, zu denen Kontakte entstanden waren.
Aber: dass die versprochene und erhoffte Facharbeiterausbildung nur ganz zu Anfang der Abkommens­zeit und später nur noch in Ausnahmefällen stattfand, haben viele der jungen Leute erst sehr spät und dann mit großer Enttäuschung festgestellt. Wenn sie Glück hatten, kamen sie wenigstens bis zum ,,Teilfacharbeiter", sonst blieb das Anlernen als Hilfskraft.

Und es war hart, wenn man nach Deutschland kam mit dem Traum, Tischler oder Kfz-Schlosser zu werden und dann als Hilfsarbeiter im Schlachthof landete.

Dass sich die "zwischenstaatliche Migration von Arbeitskräften" (so die offizielle Bezeichnung) immer stärker an den wirtschaftlichen und Arbeitsmarkt-Notwendigkeiten der DDR orientierte, haben kritische Beobachter in der letzten DDR-Phase schon gesehen.

Dass und in welchem Maße aber für den Einsatz gerade der Frauen und Männeraus  Mosambik zu­ nehmend das vorrangige Interesse beider staatlicher Vertragspartner der Schuldenabbau Mosambiks gegenüber der DDR war, hat sich uns erst aus dem Studium der Akten etwa des SED-Politbüros er­ schlossen, die dann ab 1990 einzusehen waren.
 
ln einer Vorlage für die Sitzung des SED-Politbüros am 28.06.1988 wurde vorgeschlagen, "die Anzahl der in der DDR eingesetzten mosambikanischen Arbeitskräfte von den für 1988 vereinbarten 16.500 auf insgesamt 18.000 im Jahr 1989 zu erhöhen, um damit bis 1995 die Verschuldung der VR Mosambik gegenüber der DDR ... von 365,2 Mio. auf  66,4 Mio. Clearing-Dollar zu reduzieren. Da die VR Mosam­bik nicht in der Lage (sei), durch Zahlungen in konvertierbarer Währung oder durch Warenlieferungen die Forderungen der DDR zu begleichen", sei dieser zusätzliche Einsatz von 1.500 neuen Vertragsar­beitnehmern der einzig wirksame Beitrag zum Abbau des Guthabens der DDR - zumal ihr Einsatz für die DDR einen Beitrag zur Lösung des bestehenden Arbeitskräfteproblems darstelle. Der Schuldenab­bau wurde realisiert durch die sog. Transferleistungen: ein Lohnanteil sowie die Ansprüche auf Sozial­versicherungs- und Rentenleistungen wurden von den Schulden abgezogen.

Die transferierten Lohnanteile wurden in der Regel, soviel mir bekannt ist, bei der Rückkehr ausgezahlt, bei den Rentenansprüchen gab es lange Zeit große Probleme ......

Nicht als Arbeiter der Freundschaft, sondern als "fester Bestandteil des gesellschaftlichen Arbeitsver­mögens", wie es im MfS heiß, wurden die ausländischen Werktätigen angesehen, deren Einsatz auch sehr genau beziffert wurde: 18.487 M für das Nationaleinkommen produzierte ein Mosambikaner nach Abzug aller Kosten. 13.000 erbrachten ca. 240 Mio. Mark.

Aber noch einmal: trotz dieser Hindergründe entsteht aus den Erinnerungen und Erzählungen der Ver­tragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer  wie der DDR-Bürgerinnen und -Bürger,  die mit ihnen Kon­takt hatten, jedes mal ein sehr vielfältiges, buntes, unter Umständen allerdings auch sehr voneinander abweichendes Bild. Und jede dieser Geschichten ist richtig, weil es die jeweils eigene, persönliche Er­fahrung ist. Während der eine sich gern an die gute kollegiale Atmosphäre im Betrieb erinnert, an Freundschaften mit einzelnen Familien, an Einladungen zum Brigadier nachhause oder an die Auftritte der Kulturgruppe, gab es für den anderen Beleidigungen, ungerechte, diskriminierende Behandlung und ein "kaltes Klima", wie es Gerhard Schöne besungen hat. Während einer die fürsorgliche und hilfreiche Art der Betreuer lobt, hat ein anderer unter Bevormundung und Bespitzelung gelitten.
Während einer nur für stupide Hilfsarbeiten am Band eingesetzt wurde, hat ein anderer eine gute Quali­fizierung erhalten ... alles das gab es.

Bei allen unterschiedlichen Erfahrungen - klar war eines: Sie wurden gebraucht, sie wurden noch 1989 dringend angefordert.

Und dann kann die "Wende".

"Wir sind das Volk", wir wollen Mitbestimmung, Demokratie - so hieß es zu Anfang. Bei der großen Demonstration am 4. November 1989 in Berlin waren viele von unseren Freunden aus der Cabana ganz selbstverständlich mit dabei und haben es auch als ihre Sache angesehen, für mehr Demokratie auf die Straße zu gehen.

Und dann, nach der Maueröffnung hieß es sehr bald: "Wir sind ein Volk", und erschreckend schnell wurde dann von manchen dazugesetzt "Ausländer raus!".

Sie gehörten auf einmal nicht mehr dazu, sie mussten Angst haben, sie wurden beschimpft und ange­griffen.
 
Ängste der deutschen Arbeiter angesichts zusammenbrechender Betriebe und unsicherer Zukunft ent­luden sich in Drohungen und wütenden Briefen an Betriebsleiter oder das Ministerium.

"Solange hier auch nur ein Ausländer im Betrieb arbeitet und ein Deutscher wird entlassen, fließt Blut" zitiert die Tageszeitung Neue Zeit am 31.3.1990 aus einem Brief.

Es gab Streiks, Morddrohungen, Unterschriftensammlungen mit der Forderung nach sofortiger Entlas­ sung der Arbeitskräfte, die per Regierungsabkommen in die Betriebe gekommen und manchmal erst wenige Wochen vorher noch dringend angefordert worden waren.

Und es blieb nicht bei verbalen Attacken. Es gab Angriffe, die in Mosambik z.B. mit großer Sorge wahr­ genommen wurden. Eine Note der Botschaft der Volksrepublik Mosambik in der DDR wird im Mai 1990 dem Minister für Auswärtige Angelegenheiten überreicht, in der von zahlreichen Aggressionen in meh­reren Orten der DDR berichtet und um schnelle Hilfe für die Sicherheit der mosambikanischen Bürger gebeten wird.

Andererseits habe ich auch ehrliches Benmühen von Betriebsleitern oder Brigadieren erlebt, "ihre" Mo­sambikaner oder Vietnamesen im Betrieb zu behalten. Angesichts notwendiger Massenentlassungen sahen sie zunehmend weniger Möglichkeiten dazu.

Das war die Situation Anfang 1990:
Die Regierungsabkommen waren noch in Kraft und durften nicht einseitig gekündigt werden. Immer mehr Betriebe hatten aber große Probleme, plötzlich ohne Subventionen eigenverantwortlich und renta­ bel wirtschaften zu müssen.

Die einst hoch willkommenen ausländischen Arbeitskräfte wurden jetzt zum unliebsamen Kostenfaktor, denn die Verträge erforderten z.B. die Finanzierung der Wohnheime und des Heimflugs.

So mancher Betrieb musste schon sehr bald Konkurs anmelden, die großen Kombinate fielen ausein­ander.

Es gab große Rechtsunsicherheit Die Arbeitsgruppe Ausländerfragen am Runden Tisch hatte frühzeitig darauf aufmerksam gemacht und Lösungen gefordert. Inzwischen kam es immer häufiger zu eigen­ mächtigen Entlassungen durch die Betriebe, Chartermaschinen wurden organisiert und Arbeiter einfach zurückgeführt. Manchmal waren noch Umsetzungen in funktionsfähige Betriebe möglich. Die Schwierig­keiten auf dem völlig chaotischen Arbeitsmarkt wurden aber  immer größer. Bis zum Mai 1990 waren schließlich rund 60%  der in der DDR lebenden Vertragsarbeitnehmer von Kündigung betroffen.

So mancher ist damals Hals über Kopf vor der sich immer deutlicher artikulierenden hasserfüllten Ab­lehnung ins Asyl nach Westdeutschland geflohen, andere wurden einfach in ein Flugzeug gesetzt und ohne jede Abfindung oder Ausgleichszahlung nach Hause befördert.

Wieder andere wurden von ihren Heimatländern zurückgerufen wie z.B. Koreaner und teilweise Kuba­ner.

Das Zitat von Friedrich Schiller: "Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann geh'n!"- wurde für viele zur bitter erlebten Realität.

Immer dringender wurde es deshalb, die Regierungsabkommen den veränderten ökonomischen und sozialen Verhältnissen anzupassen. Die Arbeitnehmer durften nicht schutzlos der Willkür ausgeliefert werden, den Betrieben musste aber auch die Möglichkeit einer Kündigung eingeräumt werden.
 
Zentralistisch organisierter Einsatz von Arbeitnehmern war in einer staatlich gelenkten Planwirtschaft möglich, wurde aber unmöglich unter den Bedingungen der freien Marktwirtschaft.

Änderungsvorschläge wurden erarbeitet.
Meine Rolle als Ausländerbeauftragte sah ich vor allem darin, für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzutreten und eine menschliche Umgehensweise mit ihnen einzufordern. Ich wurde mit der Leitung der Regierungs-delegation beauftragt, die dann schließlich mit den zuständigen Ministern zunächst in Vietnam, dann in Mosambik und Angola verhandelte.

Dabei sahen wir uns vor vier Schwierigkeiten:

1.   Wir waren die erste offizielle Delegation der neuen Regierung der DDR. Die Partnerländer wa­ren unsicher(- wir auch!), jedes Wort wurde auf die Goldwaage gelegt.

2.   Für unsere Verhandlungen gab es enge Grenzen, vor allem durch den am 18.05.1990 unter­ zeichneten Staatsvertrag über die Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, der die finanzpoli­tische Kompetenz und Souveränität der damaligen DDR-Regierung sehr weitgehend ein­ schränkte. Das heißt, einige der für die Vertragspartner besonders wesentlichen Fragen wie die des weiteren Umgangs mit den Schulden und den Rückzahlungen konnten von uns gar nicht verhandelt werden, was natürlich zu Unzufriedenheit auf der Seite der Partnerländer führte. Wichtig war, dass es unserem damaligen Finanzminister Walter Romberg gelungen war, für die Vertragsarbeitnehmer den gleichen Umtauschmodus auszuhandeln wie für die DDR-Bürger. Diese positive Nachricht konnten wir wenigstens mitnehmen.


3.   Die von mir vorhin schon erwähnten fremdenfeindlichen Ausschreitungen gerade gegenüber mosambikanischen Arbeitern in der DDR hatten große Unruhe ausgelöst. Die Presse hatte in Mosambik ausführlich darüber berichtet. Nun wurden wir darauf angesprochen. Wir konnten diese Geschehnisse nicht leugnen und auch nicht bagatellisieren und mussten gleichzeitig ver­suchen, zu beruhigen und deutlich zu machen, dass es in der Bevölkerung neben diesen feind­seligen  Äußerungen und Taten auch ehrliches und engagiertes Bemühen um Akzeptanz und Toleranz gab. Und natürlich erwartete man eine eindeutige Haltung der Regierung und eine­ nergisches Durchgreifen der Polizei zum Schutz der ausländischen Bürger.


4.   Schließlich hatten wir es zu tun mit Angehörigen der DDR-Botschaften und -vor allem in Mo­sambik und Angola- mit den zahlreichen Spezialisten, die im Rahmen der wirtschaftlichen Zu­ sammenarbeit in den Ländern tätig waren. Sie waren verständlicherweise beunruhigt und ver­ unsichert im Blick auf die neue Situation in der DDR, vor allem in Bezug auf ihre Arbeitsplätze, aber auch auf Modalitäten der Währungsunion sowie auf die Möglichkeiten weiteren Einsatzes in den Ländern. Es gab Befürchtungen, dass verschiedene Projekte nicht weitergeführt werden können , deren Abbruch empfindliche Lücken hinterlassen und die wirtschaftliche Entwicklung schädigen könnten.

Diese letztgenannten Probleme konnten wir natürlich gar nicht verhandeln. Wir konnten sie nur anhören und dann nachdrücklich den zuständigen Stellen in der damaligen DDR-Regierung übermitteln.

Im Blick auf den eigentlichen Verhandlungsgegenstand unserer Delegation, nämlich die Veränderung der Regierungsabkommen, wurden in z.T. mühevollen Verhandlungen Vertragsänderungen vereinbart, die sich in der ,,Verordnung des Ministerrats vom 13.6.1990 über Veränderungen von Arbeitsverhältnis­sen mit ausländischen Bürgern, die auf der Grundlage von Regierungsabkommen in der DDR beschäf­ tigt und qualifiziert werden" widerspiegeln.

Die entscheidenden Ergebnisse seinen hier kurz angeführt:
 
Die zur Zeit geltenden Verträge werden nicht verlängert.
Betrieben wird das Recht einer vorzeitigen Kündigung "aus zwingenden Gründen" eingeräumt. Als solche zwingenden Gründe galten z.B. die nötige Reduzierung des Personals aus betriebs­ bedingten Gründen wegen Umstellung des Produktionsprofils oder eine Stillegung des Betrie­bes aus Umweltschutz-Gründen.
Regelungen der Ansprüche bei vorzeitiger Heimreise beinhalten einen finanziellen Ausgleich von 70% des Nettolohnes für mindestens 3 Monate, Unterbringung im Wohnheim bis zur Aus­reise, Organisation und Finanzierung der Heimreise durch den Betrieb sowie eine einmalige Unterstützungszahlung von 3.000,- DM.
Auch bei Kündigung besteht die Möglichkeit des weiteren Aufenthaltes der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zum Ende der ursprünglichen  Vertragsdauer. Sie haben dann das Recht auf die Erteilung einer Arbeits- oder Gewerbeerlaubnis, den Anspruch auf angemessenen Wohnraum, eine betriebliche Ausgleichszahlung sowie Unterstützung bei Umschulungen oder Vermittlung eines neuen Arbeitsplatzes.

Die Ergebnisse spiegeln den schwierigen Versuch wider, trotzeng gesetzter Grenzen und Vorhaben bei den Verhandlungen eine für die betroffenen Arbeitnehmer nicht nur nachteilige Lösung zu erreichen. Sie ermöglichte für die wenigen Hierge-bliebenen später den Kampf um ein Bleiberecht  Die Mehrheit der einmal Hergeholten fiel allerdings den Kündigungen "aus zwingenden Gründen" zum Opfern, ein Teil von ihnen erhielt nicht einmal die festgesetzten Zahlungen. Immer wieder haben Betriebe versucht, das zu umgehen, obwohl bei Betrieben, die nachweislich nicht zahlungsfähig waren, das Finanzministe­ rium einsprang.

Trotz unserer Bemühungen, möglichst breit über die Änderungsverträge und darin festgehaltenen Rech­te und Ansprüche für die Arbeitnehmer zu informieren (- ich habe damals zahlreiche Versammlungen und Informationsveranstaltungen im Land besucht oder selbst organisiert, und wir haben Unmengen von Info-Material in vietnamesisch und portugiesisch verteilt-) sind viele von diesen Informationen nicht erreicht worden. ln manchen Fällen konnten wir erreichen, dass Betriebe noch nachträglich zahlen mussten, aber das war die Ausnahme. Viele haben so auch die Möglichkeit hier bleiben zu können, gar nicht wahrgenommen.

Ein Blick auf die Zahlen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Jahren 1989 und 1990 macht die Situation deutlich:

Am 31.12.1989 waren rund 15.000 Mosambikaner in der DDR und 59.000 Vietnamesen, am 31.12.1990 waren es noch 2.800 Mosambikaner und 21.000 Vietnamesen.

Das Kapitel der "gelenkten zwischenstaatlichen Migration von Arbeitskräften" in seiner offiziellen Form ging 1990 zu Ende. Das Thema blieb uns noch lange erhalten, denn die Folgen für die Menschen waren längst noch nicht abgeschlossen. Es begann ein siebenjähriger Kampf um ein Bleiberecht für diejenigen der Vertragsarbeitnehmer, die die Option des Hierbleibens gewählt hatten. Wir forderten damals, dass ihnen so wie den zunächst ja auch nur auf eine befristete Zeit ins Land geholten sog. "Gastarbeitern" die Möglichkeit zu einem Daueraufenthalt, zu Integration und Nachzug ihrer Familie gegeben werden sollte. Erst 1997 gelang endlich der Durchbruch dazu.

Offen ist nach wie vor die Frage, welche Auswirkungen es eigentlich hat, dass da mehrere Jahre lang insgesamt über 20.000 Mosambikaner (und etwa 100.000 Vietnamesen) in Deutschland gearbeitet und gelebt haben. Ist es zu spüren in den Beziehungen zwischen Mosambik und Deutschland? Können positive Impulse davon ausgehen (trotz der vielen problematischen Dinge, die mit so einem gelenkten
Einsatz von Arbeitskräften verbunden waren)?

 

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Almuth Berger, Hans-Joachim Döhring

äusserten sich am 3. Mai 2024 in der "Berliner Zeitung" in der Rubrik Open Source des Berliner Verlages:

Schluss mit DDR-Nostalgie! Das erfahrene Unrecht der Vertragsarbeiter muss anerkannt werden

Unsere Autoren vermissen Empathie und Verantwortung, wenn es um das Schicksal der DDR-Vertragsarbeiter geht. Anhand von vier Beispielen zeigen sie, wo es hapert.

 

Die vermeintliche Solidarität der DDR mit ihren sozialistischen Bruderländern und das tatsächliche Schicksal der Vertragsarbeiter sollte gründlich von DDR-Nostalgie befreit werden. Als (ostdeutsche) Zeitzeugen und Autoren finden wir: Es braucht viel mehr Empathie und Verantwortung. Respekt und Anerkennung staatlich verursachten Unrechts ist nötig. Dazu gehört auch, präzise über das Schicksal der Vertragsarbeiter aufzuklären. Hierzu möchten wir mit folgenden Beispielen beitragen:

 

Rassismus im DDR-Alltag

 

In einem Text in der Berliner Zeitung stellte Maritta Adam-Tkalec kürzlich zu Recht fest, dass die DDR-Gesellschaft nicht „durch und durch rassistisch“ war. Wir wollen aber doch festhalten: In der DDR-Gesellschaft war, wie in anderen Gesellschaften auch, Rassismus in den verschiedensten Facetten vorhanden. Dies zeigte sich nicht nur in tätlichen Angriffen, für die es konkrete Beispiele gibt, sondern viel häufiger in Einstellungen und Umgangsweisen mit Menschen anderer Hautfarbe und Kultur. Die üblichen Benennungen von Vietnamesen als „Fidschis“ oder Mosambikanern als „Braunkohle“ waren nicht lustig, sondern sprachen den Menschen ihre Würde ab.

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Der Schriftsteller Landolf Scherzer hat in Suhl viele Gespräche mit Vertragsarbeitern und Deutschen geführt. Die Protokolle durften in der DDR nicht veröffentlicht werden, im geeinten Deutschland sind einige dann 2002 im Buch „Die Fremden“ im Berliner Aufbau-Verlag erschienen.

Einige Zitate daraus: „Die landläufige Meinung war: Die Buschmenschen kommen. Vorher waren zwar schon Algerier hier (…) Aber der Algerier is’n anderer Mensch. Der Algerier schlägt ja nun mal mehr ins Europäische.“ – „Man müsste sie wirklich separat halten. Oder in anderen Ländern ausbilden, wo die Leute auch so sind, in Bulgarien vielleicht.“ – „Ich find, ’ne deutsche Frau gehört nicht zu den Schwarzen. (…) Der Umerziehungsprozess, der würde sich immer vom Weißen aus vollziehen, die Schwarzen würden sich anpassen.“

 

Beispiele aus Suhl in den 1980er-Jahren, die man auch in vielen anderen Orten hätte aufschreiben können. Diese europäisch-überheblichen Einstellungen schlossen zwar nicht eine betriebliche Betreuung aus, verhinderten aber in vielen Fällen Verständnis, Begegnungen und Kommunikation auf Augenhöhe.

 

Die Situation der schwangeren Frauen aus Mosambik

 

Im gleichen Text in der Berliner Zeitung bezeichnet Maritta Adam-Tkalec die Behauptung, dass die DDR mosambikanische (und vietnamesischen) Frauen, die in DDR-Betrieben arbeiteten, im Falle einer Schwangerschaft zur Heimkehr oder Abtreibung gezwungen habe, als „Fake-News-Story“.

Aber: Im Jahresprotokoll 1981, Artikel 2 zum Regierungsabkommen wird von Mosambik und der DDR gemeinsam festgelegt, dass bei Schwangeren eine „unverzügliche Rückführung in die Volksrepublik Mozambique zu erfolgen hat“. Denn durch eine Schwangerschaft waren sie „an der Erfüllung der im Regierungsabkommen enthaltenen Prinzipien behindert und ihre Qualifizierung in den Einrichtungen der Erwachsenenbildung außerhalb der produktiven Tätigkeit konnte nicht gewährleistet werden“.

 

Dass dies auch noch Ende 1988 so gehandhabt wurde, kann Almuth Berger bezeugen, die damals eine junge Mosambikanerin, die im 7. Monat zurückgeschickt werden sollte, zu Hause aufgenommen und dann in einer Entbindungsklinik untergebracht hat. Mehrfache Versuche des Betriebes, sie dort herauszuholen und zurückzuschicken, sind dank des couragierten Auftretens des Oberarztes verhindert worden. Die Frau konnte in der DDR entbinden. Viele andere mussten heimkehren. Im Bundesarchiv liegen zahlreiche Atteste, auf denen Gynäkologen die Schwangerschaft von Mosambikanerinnen bestätigen und vermerken: Ich bitte, die Rückführung einzuleiten.

Es wird einzelne Frauen gegeben haben, die – trotz des Verbots der mosambikanischen Regierung und der Botschaft – eine Abtreibung vornehmen ließen, die in ihrer Heimat nicht erlaubt war. Offiziell durften DDR-Ärzte bei Mosambikanerinnen jedoch keine Abtreibung vornehmen. Sie konnten also nicht einfach den „Ausweg über das liberalste Abtreibungsrecht der Welt wählen“, wie Maritta Tkalec in ihrem Text meint.

 

Mythos: Ausbildung für Vertragsarbeiter

 

Richtig ist, dass die jungen Frauen und Männer angesichts der Situation in ihrer Heimat gern die Chance eines Aufenthaltes in der DDR wahrnahmen. Nicht richtig ist, dass sie zu einer angemessenen Ausbildung in die DDR geholt wurden. Ihre „Abkommen-gemäße“ Bestimmung war keine für Mosambik angepasste Berufsausbildung. Uns sind allein drei Vertragsarbeiter bekannt, die zu Heizungsmonteuren ausgebildet wurden. Tatsächlich ging es um Aneignung von Anlerntätigkeiten für die Großbetriebe und die akute Produktion. Die Ausbildungsabsichten der DDR für Vertragsarbeiter waren und sind ein Mythos. Nach einer Übersicht von Ulrich van der Heyden wurden von den ca. 17.100 Vertragsarbeitern in zehn Jahren lediglich 601 zu Facharbeitern und 70 zu Lehrmeistern ausgebildet, weniger als vier Prozent aller Vertragsarbeiter!

 

Verrechnen statt „transferieren“: Vertragsarbeiter wurden um ihren Lohn geprellt

 

Im Abkommen vom 24.02.1979, Artikel 6 wurde festgelegt, dass Vertragsarbeiter 25 Prozent, zeitweise 60 Prozent des 350 Mark übersteigenden Nettolohnes nach Hause „transferieren“ können. Dafür wurden persönliche Konten eingerichtet. Artikel 14 legte dann fest, „alle mit dem Einsatz der mozambiquanischen Werktätigen verbundenen Zahlungen und Überweisungen erfolgen (…) zur Verrechnung von gegenseitigen Warenlieferungen und Leistungen“. Damit wurde – verdeckt formuliert – die Einbehaltung von privaten Löhnen für staatliche Zwecke angeordnet.

Die den Mosambikanern monatlich abgezogen Nettolohnanteile überwies die DDR nicht – oder nicht vollständig – nach Mosambik, sondern „verrechnete“ sie. Damit war der Einstieg in einen jahrzehntelangen staatlichen Betrug gegeben. Die DDR behielt die Nettolohnanteile ein und beide Regierungen haben in einer Art Komplizengemeinschaft unter Missachtung der Rechte der Vertragsarbeiter die mosambikanischen Werktätigen und die Öffentlichkeit darüber nicht informiert.

Ein langjähriger Mitarbeiter im Staatssekretariat für Arbeit und Löhne (SAL) der DDR, Ralf Straßburg, sagte 2019 auf der Tagung „Respekt und Anerkennung“: „Die von den Vertragsarbeitern ‚transferierten‘ Beträge wurden von Anfang an im gegenseitigen Einvernehmen beider Regierungen nicht nach Mosambik überwiesen, sondern in die zwischenstaatliche Verrechnung mit einbezogen, um zum Schuldenabbau beizutragen.“ Der Hauptgrund für die Einbehaltung persönlicher Arbeitseinkommen zwecks staatlicher Kredittilgungen gegenüber Mosambik lag in der ersten Devisen-Überschuldungskrise der DDR 1976/77 (ein Symptom war die bekannte Bohnenkaffee-Krise 1977).

Im engsten Kreis um Erich Honecker mit Günter Mittag, Werner Lamberz und Alexander Schalck-Golodkowski wird ein Sofortprogramm zur Erwirtschaftung von konvertierbaren Devisen (KD) 1977 beschlossen. Ein Bestandteil dieses Sofortprogramms war eine Offensive zu Entwicklungsländern in der „US-Dollar-Handelssphäre“. Im Dezember 1977 beschließt das Politbüro der SED eine „Kommission für Entwicklungsländer“ und beauftragt Alexander Schalck-Golodkowski und seinen Bereich Kommerzielle Koordinierung (Koko) mit dem speziellen „Mosambik-Geschäft“. Damit geraten die antiimperialen und mit Solidarität angebahnten Beziehungen zum befreiten Mosambik in die Verfügungsgewalt von Devisenbeschaffern und Waffen-, Gefangenen- und Kunsthändlern gegen Westgeld. Alle Verträge mit Mosambik ab 1977 und das Abkommen zu den Vertragsarbeitern 1979 liefen über den Schreibtisch von Schalck-Golodkowski.

1977 kippte somit die Solidarität – man könnte auch von einer antisolidarischen Wende in den Mosambik-Beziehungen der DDR sprechen: Die Interessen der DDR rückten an die erste Stelle und dominierten die Beziehungen. Diese Wende muss in Wissenschaft, Medien und Politik viel stärker thematisiert werden. Daran hapert es, teils auch in der Berliner Zeitung.

 

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