Gabriele Lubanda

Und wir brauchen sie doch!

Als Zeitzeugin, die 1990 an den Regierungsverhandlungen teilgenommen hat, werfe ich einen ganz persönlichen Blick auf eine verschwindend kleine Zeitspanne der Geschichte. Über die so genannten DDR-Vertragsarbeitnehmer aus Vietnam, Mosambique und Angola ist viel dokumentiert. Lässt sich nach zwanzig Jahren rückblickend noch etwas Neues erkennen? „Die Vertragsarbeitnehmer können sich von den Wirkungen des Abkommens befreien lassen.“ Diese wirtschaftsbezogene Vereinbarung der DDR aus dem Mai 1990 mit den Abkommensländern erscheint belanglos. Dabei war sie bedeutsam und zwar für beide Seiten. Das zeigt sich am Beispiel Vietnam. Ein abgeschirmtes kommunistisches Land erklärte sich bereit, seine unter restriktiven Auflagen in die DDR eingereisten Staatsbürger als freie Individuen zu behandeln. Für die de-Maizière-Regierung darf die Vereinbarung als zu diesem Zeitpunkt ernst gemeintes Zugeständnis im Sinne eines Bleiberechts betrachtet werden.

Erinnern wir uns an die wirtschaftliche Situation im Sommer 1990 in der DDR. Der einst DDR-typische Arbeitskräftebedarf ist entfallen. Unter den dramatischen Veränderungen kämpfen die Betriebe und Kombinate bereits ums Überleben. Auf der Tagesordnung steht die Privatisierung des Volkseigentums. Die interessiert nach Osten blickende westdeutsche Wirtschaftselite hat kein Interesse an wenig qualifizierten Arbeitskräften aus exotischen Ländern wie Vietnam. Vertragsarbeitnehmer sind kein Thema für die an der deutschen Vereinigung interessierten politischen Kräfte. Bei vertraulichen Gesprächen mit der Bundesregierung gibt es deutlich ablehnende Signale. Die Forderung nach einem Bleiberecht für Vertragsarbeitnehmer kam Ende 1989 aus der Bürgerrechtsbewegung und nicht aus dem Volk. Im Sommer 1990 organisierte sich die Masse der DDR-Bevölkerung neu. Für die Probleme einer kleinen Gruppe Ausländer blieb da noch weniger Raum. Nur wenige Monate später lief die als Bleiberecht angelegte Vereinbarung trotz Aufnahme in den Einigungsvertrag fast ins Leere. Wunderbare Ironie der Geschichte: In den Neuen Bundesländern sind Kinder aus vietnamesischen Familien an der Spitze der Abiturleistungen. Das Interesse der Wirtschaft ist ihnen sicher.

Fernschreiben eines Betriebsdirektors
Das Büro der Ausländerbeauftragten erhielt damals zahlreiche solcher Telegramme und Anrufe von Betriebsleitern.
Telegramm eines Betriebsdirektors.pdf
PDF-Dokument [156.1 KB]

Heute gesucht - gestern abgeschoben

Ein Artikel aus der Zeitschrift "Nah & Fern Nr. 11" von Klaus Dünnhaupt zeigt die spärlichen Versuche von Entwicklungshelfern, etwas für das Fachkräftepotential aus der ehemaliegen DDR zu tunhier->

Do 04.06.1992 | Bonn | Deutscher Bundestag

Das Mindeste wäre ein Bleiberecht

Die Bundestagsabgeordneten Konrad Weiß (Berlin) und Werner Schulz (Berlin) aus der damaligen Gruppe BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hatten am 4.Juni 1992 einen entsprechenden Antrag zum dauerhaften Aufenthalt von Vertragsarbeitnehmerinnen ud Arbeitnehmern unter der Drucksache 12/2778 gestellt.



Sie begründeten das wie folgt:

Zu DDR-Zeiten wurden per Regierungsabkommen ausländische Arbeitskräfte zur Deckung des permanenten Arbeitskräftemangels angeworben. 1989 befanden sich ca. 90 000 Vertragsarbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf dem Gebiet der DDR. Ihr Lebensalltag war durch eine ghettoartige Unterbringung, kaum zugelassene Kontaktmöglichkeiten zu den Einheimischen und zahlreiche weitere diskriminierende Maßnahmen geprägt. Trotzdem nahmen diese Menschen diesen Arbeitsaufenthalt als eine Möglichkeit zur finanziellen Unterstützung ihrer Familien in der schwierigen Situation ihres Heimatlandes wahr. Die durch die deutsche Einheit bedingten Veränderungen trafen diesen Personenkreis in besonderem Maße. Die vorgenommene Umwandlung des früheren DDR-Aufenthaltsrechts lediglich in eine Aufenthaltsbewilligung bis zum Ende der ursprünglichen Vertragszeit nimmt den Menschen den Mut und die Kraft, nach sinnvollen Alternativen zu suchen, wie es die wenigen, die bisher einen gesicherten Aufenthalt erlangt haben, in überzeugender Weise tun konnten.

 

Nach einem Bericht des Bundesministeriums des Innern vom 11. März 1992 lebten im Februar 1992 in Deutschland 20 332 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Vietnam, 15 693 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Polen, 2 948 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Mocambique, 973 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Kuba, 2 638 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Ungarn, 572 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus Angola, 243 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus China, 1 516 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der GUS und 925 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der CSFR (Stand: 18. Februar 1992). Diese Menschen haben mit ihrer Arbeit einen Beitrag für die hiesige Wirtschaft geleistet. Sie haben auch Steuern und Beiträge gezahlt wie die heimischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie haben ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. Es wäre eine große Ungerechtigkeit, diese Menschen, die jahrelang in der Bundesrepublik Deutschland gearbeitet haben, dazu zu zwingen, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Die Gleichstellung der ausländischen Arbeitskräfte der ehemaligen DDR mit den aufgrund von Anwerbeabkommen in westliche Bundesländer eingereisten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wäre auch ein Beitrag für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen in Deutschland.