Almuth Berger

Ein Tabu in der Nachkriegsgeschichte wird gebrochen. Aufnahme russisch-jüdischer Emigranten in der DDR.

Ein Zeitzeugenbericht

Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre lebten viele jüdische Menschen in der Sowjetunion in Angst vor einem wieder erstar­kenden Antisemitismus. Besonders seit dem Wahlerfolg des Rechtsextremisten Schirinowski wurden zunehmend antisemi­tische Übergriffe registriert. Manche jüdischen Bürger fanden Flugblätter mit Morddrohungen in ihren Briefkästen. Zeitungen druckten Berichte über angebliche weltweite jüdische Intrigen. Rechtsextreme, antisemitische Organisationen wie "Pamjat" oder "Otkasniki", so genannte Vaterlandsbewegungen, ängsti­gten viele jüdische Familien. Kindern wurde das Schimpfwort "Djid" nachgerufen. Sie wurden verprügelt, in der Schule angepöbelt und ausgegrenzt. In manchen Gebieten kam es zu Brandstif­tungen. Es war keine systematische Verfolgung, aber es war eine Stimmung, die Ängste aufkommen lies und Unbehagen. Eine "Pogromstimmung" habe geherrscht, sagten viele der Juden, die damals kamen.

 

Einschüchternd wirkten dazu die zunehmende Verschlechte­rung der wirtschaftlichen Situation, der Anstieg der Kriminali­tät und schließlich auch die Furcht vor Bürgerkriegen. Der be­ginnende Zerfall des riesigen sowjetischen Imperiums brachte Kämpfe um Unabhängigkeit vieler Gebiete mit sich, oft verbun­den mit stark nationalistischen Tönen und zum Teil blutigen re­gionalen Fehden.

 

Alles das führte dazu, dass jüdische Menschen sich bedroht fühlten und zunehmend versuchten, das Land zu verlassen, zumal die Ausreisemöglichkeiten unter Gorbatschow erleich­tert worden waren.

 

1988 verließen 20.000, 1989 bereits 85.000 und 1990 etwa

200.000 Menschen die Sowjetunion. Eigentlich war nur die Aus­reise nach Israel gestattet. Viele der jüdischen Emigranten ent­schieden sich aber, in die USA zu gehen, gegebenenfalls über den Umweg Israel. Immerhin wanderten aber insgesamt etwa eine halbe Million Menschen aus allen Sowjetrepubliken nach Israel aus.

 

Allerdings: Das begehrte Ziel USA war nur zu erreichen, wenn man dort schon Verwandte hatte; und in Israel fühlten sich gera­de russische Zuwanderer oft nicht so aufgenommen, wie sie es gehofft hatten. Wo also konnte man sonst noch hin? Die DDR zur Wendezeit kam in den Blick. Juden beschlossen, nach Deutsch­land auszuwandern, was noch 20 oder auch nur zehn Jahre vor­her undenkbar erschienen war. Aber es war ziemlich aufmerk­sam registriert worden, was in der DDR damals geschah und wie sich das Verhalten gegenüber Juden und jüdischen Ge­meinden änderte.



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