Lutz Basse

Das Ausländerstudium an Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR

Berlin, August 1951. Die 3. Weltfestspiele der Jugend in Berlin (Ost) sind zu Ende und eine Gruppe junger Menschen aus Nigeria kann nicht mehr nach Hause - die britische Kolonialverwaltung hat die Einreise verboten. Offensichtlich befürchten sie, die Jugendlichen seien vom Virus "Kommunismus" infiziert. Auf Bitte des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend (FDJ), Gastgeber der Weltfestspiele, beauftragt das Zentralkomitee der SED das damalige Staatssekretariat für Hoch- und Fachschulwesen, aus den ausgebürgerten Nigerianern Studenten zu machen.

Nicht in Berlin, in Leipzig wurden Lehrer von ihren Verpflichtungen an ihren Schulen freigestellt und unterrichteten ab sofort die kleine Gruppe in Deutsch, Mathematik und Naturwissenschaften. (Aus diesem Provisorium entstand einige Jahre später das Herder-lnstitut der Karl-Marx-Universität Leipzig.)

 

Ein an sich belangloser Akt im Kalten Krieg wurde zur Geburtsstunde des Ausländerstudiums und prägte das System der studentischen Ausbildung von Ausländern an Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR bis zu deren Ende 1989/90. Die Vergabe von Studienplätzen folgte keinen hochschul- oder wissenschaftspolitischen Erwägungen des Studienlandes, war niemals langfristigen strategischen Überlegungen untergeordnet, sondern erfolgte vorwiegend nach außenpolitisch determinierten Vorgaben des ZK der SED - mitunter scheinbar zufällig entsprechend der jeweiligen politischen Großwetterlage oder eben wie 1951 nach Anstößen, die von außen kamen und solidarisches Reagieren einforderte. Während mehrere tausend DDR-Bürger an Universitäten und Hochschulen anderer RGW-Staaten studierten, blieb die Anzahl ausländischer Studierender in der DDR bis Anfang der 70er Jahre relativ gering (unter 1.000). Erst mit der Aufnahme hunderter Vietnamesen (ursprünglich nur zur medizinischen Versorgung und Rehabilitation von Opfern des US-Luftkrieges gegen Nord-Vietnam) und der völkerrechtlichen Anerkennung der DDR durch zahlreiche Entwicklungsländer stieg die Zahl der ausländischen Studierenden stark an - auf konstant über 12.000 in den 80er Jahren.

 

Die überwiegende Studienform war das Vollzeitstudium. Erst ab Anfang der 80er Jahre kam dem Studentenaustausch innerhalb des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) in der Form von Teilzeitstudiengängen eine größere Bedeutung innerhalb der internationalen Hochschulbeziehungen zu - später auch zu westlichen Staaten auf Grundlagen von Kulturabkommen nach diplomatischer Anerkennung der DDR.

 

Finanziert wurde das Ausländerstudium aus dem Staatshaushalt - in den letzten Jahren mit ca. 100 MiII. Mark jährlich; darin enthalten war ein Zuschuß aus dem Spendenfonds des Solidaritätskomitees in Höhe von 25 - 30%.

 

Bis zum Beitritt der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland haben ca. 50.000 ausländische Studierende ihre Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Unberücksichtigt sind dabei Ausländer, die an Krankenhäusern eine Facharztweiterbildung oder an Instituten der Akademie der Wissenschaften eine postgraduale Weiterbildung erhielten bzw. an militärischen Bildungseinrichtungen ausgebildet wurden. Auch Studierende an den Hochschulen der SED, der FDJ, des FDGB sowie an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport Leipzig (DHfK) werden hier nicht erfaßt.

 

 

Wege zum Studium an Universitäten, Hoch- und Fachschulen der DDR

 

Das Ausländerstudium wurde im wesentlichen von 4 Grundprinzipien geprägt:

  1. Delegierungsprinzip

  2. Akzeptanz ausländischer Bildungsabschlüsse

  3. Integration

  4. politische Organisation

 

Um in der DDR studieren zu können, war eine sogenannte Delegierung erforderlich, d. h. eine individuelle Bewerbung um einen Studienplatz war nur dann erfolgreich, wenn eine sog. delegierende Stelle diese Bewerbung trug:

 

Regierungsvereinbarung (RV)

- über Botschaften in der DDR (auf Grundlage von Kultur- oder Studentenabkommen)

 

Solidaritätskomitee (SK)

- vorwiegend nationale Befreiungsbewegungen (z.B. ANC - Südafrika, PLO, SWAPO - Namibia)

 

Liga für Völkerfreundschaft (Liga)

- Unterstützung der Arbeit von DDR-Botschaften (Studienplatz statt "Mercedes" für ausländische Partner)

 

Sondervereinbarung (SV)

- ZK der SED

 

Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW)

- wurde in der Regel ad hoc zur Aufstockung des vereinbarten Kontingents an "Schwerpunktländer" vergeben (z. B. ab 1985 an Afghanistan für Medizinstudenten) und als besondere Leistung mit den Mitgliedsbeiträgen zum RGW verrechnet.

 

Ende der 70er Jahre haben auch die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) und die Konsumgenossenschaften ein einmaliges Kontingent von wenigen Studienplätzen erhalten. Zum Studium an Ingenieur- und Fachschulen waren vereinzelt auch Industrieministerien berechtigt (z. B. zur Ausbildung von Ingenieuren aus Algerien, um exportierte Anlagen bedienen zu können.)

 

Anfang der 80er Jahre wurden die Universitäten, Hoch- und Fachschulen als Devisenquelle entdeckt. Einige Außenhandelsbetriebe schlossen mit ausländischen Partnern Verträge ab über die Ausbildung von Studenten (z. B. Libyen: Militär­Industrie-Organisation - MIO, Atomenergie-Gesellschaft - SAE) oder die post­graduale Weiterbildung zur Erlangung des Doktor-Grades (über 600 Aspiranten aus Syrien). Dieses sog. "kommerzielle Studium" stellte einen Bruch mit dem bis dahin geltenden Prinzip der solidarischen Hilfeleistungen für Entwicklungsländer dar und unterschied sich auch insoweit grundsätzlich vom traditionellen Ausländerstudium, als bei diesen Studierenden finanzielle und materielle Erwägungen stets Vorrang hatten vor den Studieninhalten und -Ieistungen. Einzelzimmer und die Unterbringung von Ehepartnern in den Studentenwohnheimen mit "Vollpension" nach Rezepten der heimatlichen Küche (einschließlich der rituellen Schächtung von Schafen) oder die Einrichtung von Gebetsräumen waren wichtigere Kriterien für die nächste Dollar­Überweisung als das eigentliche Studium. Naturgemäß war dieses weder den anderen deutschen und ausländischen Studierenden noch den Hochschullehrern zu vermitteln, zumal diese Praxis in eine Zeit fiel, in der Mangel an Dingen des täglichen Bedarf stetig zunahm und sich die Arbeits- und Lebensbedingungen an den Hochschulen permanent verschlechterten.

 

 

Voraussetzungen für die Zulassung zu einem Studium

 

Schulabschlüsse der Herkunftländer wurden formalrechtlich anerkannt, d. h. wer über einen Schulabschluß verfügte, der im Heimatland zum Studium an einer Universität/Hochschule berechtigte, erhielt auch die Zulassung für ein Studium an einer Universität/Hochschule der DDR.

Da bekannt war, daß aufgrund sehr unterschiedlicher Bildungssysteme und deren Leistungsfähigkeit die tatsächlichen Studienvoraussetzungen sehr differenziert und oft unzureichend waren, wurde am Herder-lnstitut Anfang der 70er Jahre eine systematische einjährige Studienvorbereitung eingeführt, bei der zusammen mit dem Erlernen der deutschen Sprache Unterricht in Mathematik und den studienrelevanten Naturwissenschaften erteilt wurde, um die Kenntnisse der Abiturstufe (der DDR) aufzufrischen bzw. zu vermitteln. Dieses System hat sich insgesamt als sehr leistungsfähig und effizient erwiesen. (ln Ausnahmefällen wurde die Studienvorbereitung um bis zu 2 Semester verlängert und zum Teil mit berufsbezogenen Praktika verbunden.)

 

Ab Beginn der 80er Jahre wurde außerdem zunehmend die Entwicklung von Techniken und Fähigkeiten zum selbständigen wissenschaftlichen Arbeiten als Schwerpunkt der Studienvorbereitung in den insgesamt 16 studienvorbereitenden Sprachkursen angesehen.

 

Anders als im Direktstudium wurden in der postgradualen Weiterbildung strengere Maßstäbe angelegt. Wer in der Heimat einen Hochschulabschluß erworben hatte, der nicht mit dem Diplom der DDR-Hochschulen vergleichbar war bzw. wenn wesentliche Kenntnisse und Fähigkeiten fehlten, konnte nur über ein postgraduales Zusatzstudium von bis zu 4 Semestern und den Erwerb des Diploms die Voraussetzungen für eine Aspirantur (zur Erlangung des Doktor-Grades) schaffen. Die juristische Grundlage bildeten zahlreiche zwischenstaatliche Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Studiengängen und akademischen Abschlüssen (sog. Äqivalenzabkommen).

 

 

Das Studium an Universitäten, Hoch- und Fachschulen

 

Besonderer Wert wurde stets auf die Integration der ausländischen Studierenden in den normalen Studienprozeß gelegt: es galten auch für sie die gleichen Studienpläne und Prüfungsanforderungen wie für die deutschen Studenten.

ln den Studentenwohnheimen galt der Grundsatz der gemischten Belegung. Auf diese Weise sollte erreicht werden, daß die Ausländer in einer deutschsprachigen Umgebung lebten, Unterstützung von ihren deutschen Kommilitonen erhielten (z. B. Vorlesungsdurchschriften in den ersten Semestern) und an Wochenenden und Feiertagen das Wohnheimzimmer allein nutzen und Freund/Freundin zu Gast haben konnten.

 

Ab Anfang der 80er Jahre wurde daraus an den Zentren des Ausländerstudiums ein System von sog. Betreuerstudenten entwickelt, das sich insgesamt bewährt hat - durch das Zusammenleben kam es kaum zu Vorfällen von Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierungen an Universitäten, Hoch- und Fachschulen.

 

Zum Ausgleich von Defiziten in den studienrelevanten Kenntnissen und Fähigkeiten wurden an den meisten Universitäten und Hochschulen zusätzliche Vorpraktika, spezielle Lehrveranstaltungen und Praktika in den vier ersten Semestern eingeführt sowie angestrebt, ausländische Studierende frühzeitig in studentische Forschungsprojekte einzubeziehen - in Einzelfällen auch in Zusammenarbeit mit der Industrie. Abweichungen von diesem Integrationsprinzip gab es nur an einigen Ingenieur- und Fachschulen, die in der Regel nicht dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen unterstanden und an denen auch in speziellen "Ausländerklassen" unterrichtet wurde.

 

Anders als die DDR-Studenten erhielten ausländische Studierende höhere Stipendien: Studenten 280M

Postgraduale 350 M

Aspiranten 500 M

 

Diese höheren Stipendien waren verbunden mit einem strikten Arbeitsverbot zur Aufbesserung der Einkommen.

 

Auch ausländische Studierende konnten wie ihre deutschen Kommilitonen bei besonders guten Studienergebnissen zusätzlich Leistungsstipendien in Höhe von bis zu 150 M erhalten. Die Entscheidung über die Gewährung von Leistungsstipendien erfolgte auf Vorschlag der jeweiligen Seminargruppe. Darüberhinaus wurde jedes Jahr an die besten ausländischen Studierenden das mit 500 M dotierte Allende-Stipendium vergeben.

 

 

Politische Mitwirkung ausländischer Studierender

 

Die ausländischen Studierenden hatten die Möglichkeit, eigene politische Organisationen zu schaffen. 1989 existierten in der DDR 56 Vereinigungen ausländischer Studierender, zum Teil "Niederlassungen" von Jugendverbänden der Heimatländer (z. B. Komsomol). An allen Universitäten und Hochschulen sowie an einigen Fachschulen mit einer größeren Anzahl ausländischer Studierender gab es Nationale Hochschulgruppen (NHG), die einen Hochschullehrer als Partner hatten (in der Regel einen Professor) und "Internationale Studentenkomitees" (ISK) als Interessenvertretung der ausländischen Studentenschaft und der Nationalen Hochschulgruppen.

Die kulturelle und politische Arbeit der Studentenvereinigungen, der NHG und der ISK wurden vom Komitee für Angelegenheiten ausländischer Studierender - einer speziellen Arbeitsgruppe beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen ­ koordiniert und kontrolliert.

 

 

Organisationsstruktur des Ausländerstudiums

 

Das Ausländerstudium wurde zentral vom Sektor Ausländerstudium im Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen geleitet. Bis Anfang der 80er Jahre hatte diese Arbeitsgruppe fast uneingeschränkte Weisungsbefugnisse und entschied allein z. B. über die Zulassungen sowie vorzeitige Exmatrikulationen von Studenten unter Ausschaltung des geltenden Hochschulrechts, wonach nur der Rektor einer Universität/Hochschule bzw. eine von ihm beauftragte Person immatrikulieren und exmatrikulieren durfte. Erst 1984 wurden diese Befugnisse an die Bildungseinrichtungen zurückgegeben.

 

An den Universitäten und Hochschulen koordinierte eine Abteilung für Ausländerstudium (Teil des Direktorats für Internationale Beziehungen) alle Angelegenheiten der ausländischen Studierenden: Zulassungen, Immatrikulationen, Stipendienzahlungen, Unterbringung in Studentenwohnheimen, Kontrolle der Studienergebnisse, Beantragung der Aufenthaltsgenehmigungen bis zur Besorgung von Tickets für den Heimflug nach Abschluß des Studiums.